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derStandard.at, 4.12.2009

 

Tschuschenkapelle-Gründer Slavko Ninić über 20 Jahre Folklore, Sehnsucht nach Asphalt und "Tschuschen" in der Politik

 

Als der "Tschusch" noch ein Schimpfwort war, nannten sie sich "Wiener Tschuschenkapelle". Das war vor zwanzig Jahren. Rund 1200 Konzerte später sei Volksmusik noch immer toll, Österreich ein bisschen weniger rassistisch und die Kapelle endlich auch bei "Tschuschen" beliebt, sagt Gründer, Sänger und Gitarrist Slavko Ninić im Gespräch mit Maria Sterkl. Auf dem FPÖ-Parteitag würde er nicht spielen, sagt Ninić - glaubt aber auch nicht, dass er eingeladen wäre.

 

Von Maria Sterkl

 

derStandard.at: Herr Ninić, stimmt es, dass die Tschuschenkapelle in Arbeitspausen entstanden ist?

 

Ninić: Ja. Wir haben in einer Beratungsstelle für ausländische Arbeitnehmer gearbeitet - ein Türke, ein Kroate - also ich - und ein Österreicher. In den Pausen haben wir musiziert. So ist das entstanden.

 

derStandard.at: Warum nannten Sie sich Tschuschenkapelle?

 

Ninić: Wir hatten die Band, aber keinen Namen dazu. Also haben wir herumg'scheitelt, und da hat im Wirtshaus irgendwer gemeint: "Nennt's euch Tschuschenband, weil Tschuschen seid's eh".

 

derStandard.at: Damals war das eine Provokation. Mittlerweile hatte sogar der ORF eine Serie namens "Tschuschenpower" im Programm.

 

Ninić: Ja, das Wort ist irgendwie salonfähig geworden. Kann sein, dass wir da auch dazu beigetragen haben.

 

derStandard.at: War es für Sie damals schwer, sich in Wien niederzulassen?

 

Ninić: Nein. 1972, als ich hierher gekommen bin, hat man alle Aufenthaltstitel in zwei Stunden bekommen. Die wurden einem fast nachgeworfen.

 

derStandard.at: Warum wollten Sie gerade nach Wien?

 

Ninić: Das war reiner Zufall. Es hätte auch Paris oder Frankfurt oder Stockholm werden können. Mir war es nach der Matura einfach zu blöd zuhause, ich wollte weg. Reines Abenteurertum, "gemma in die Welt" und so.

 

derStandard.at: Gab es Bilder über Wien, die Sie nach einiger Zeit korrigieren mussten?

 

Ninić: Ein Freund hat einmal gesagt: "Weißt du, Slavko, irgendwie ist hier nicht alles so beleuchtet, wie ich mir das vorgestellt habe". Da hab ich lachen müssen. Wir wohnten beide im 17. Bezirk, mit diesen dunklen Gassen und Nebengassen. Und man hatte ja Vorstellungen von Wien wie von New York, mit Boulevards, Tag bei Nacht und so weiter. Wir haben uns als Bauernburschen nach Asphalt gesehnt, und dann kamen wir nach Wien, in den Siebzigerjahren, und da war so viel Asphalt und Beton, mein Gott, war das schön. Unvorstellbar heute, oder?

 

derStandard.at: Viele meinen, die heutigen "Integrationsprobleme" hätten in dieser Zeit ihre Wurzeln.

 

Ninić: Das ist richtig. Man hat sich ja damals darauf beschränkt, den Leuten Arbeit und irgendeine Schlafstätte zu geben. Und man hat vergessen, dass sie auch andere menschliche Bedürfnisse haben - nach Kultur, nach Unterhaltung, nach Religionsausübung, Familiengründung. Warum hat man ihnen nicht damals schon Deutschkurse angeboten? Warum hat man nicht geholfen, das Land kennen zu lernen? Das hätte man in Betrieben organisieren können. Nichts hat man getan. Die waren nur als Arbeitsviecher da und man hat geglaubt, wenn die Konjunktur schwächer wird, kann man sie wieder nach Hause schicken.

 

derStandard.at: Die jetzige Innenministerin will ja, dass nur noch jene ins Land kommen dürfen, die schon vorher einen Deutschtest gemacht haben.

 

Ninić: Die Innenministerin will, dass gar niemand mehr ins Land kommt - außer Sängerknaben-Bewunderer.

 

derStandard.at: Hat sich der Umgang mit Zugewanderten in den letzten 20 Jahren verändert?

 

Ninić: Es ist immer eine Wellenbewegung. Wenn die Wirtschaft gut läuft und es genügend Arbeitsplätze gibt, dann sind die Wogen kleiner. Und beim kleinsten Anzeichen einer gesellschaftlichen Krise wird der Ruf gegen Ausländer lauter. Die Ausländer haben eine gewisse Pufferrolle in der Gesellschaft, und es gibt in Österreich politische Kräfte, die genau darauf ihre Strategien aufbauen.

 

derStandard.at: Würden Sie auf einem FPÖ-Parteitag spielen?

 

Ninić: Gestern hat mir ein Freund vorgeschlagen, dass wir gezielt für das FPÖ-Wahlvolk spielen sollten: Die Leute glauben ja vielleicht, wir haben Hörner am Kopf oder so. Sie fahren ja nach Kroatien und in die Türkei ans Meer und wenn sie zurück sind, glauben sie trotzdem was weiß ich was von uns. Aber eigentlich wüsste ich nicht, aus welchen Gründen ich bei Strache spielen sollte, außer aus finanziellen, und diese finanziellen Gründe interessieren mich auch nicht. Abgesehen davon glaube ich gar nicht, dass so ein Auftrag käme.

 

derStandard.at: Haben Sie jemals als Tschuschenkapelle rassistische Anfeindungen erfahren?

 

Ninić: Nein, nicht ein einziges Mal hat es bei Konzerten einen Eklat gegeben. Vielleicht liegt das auch an unserer Musik. Leute zu stören, die Gaudi haben und tanzen - da würde man sich vielleicht selber als Trottel vorkommen.

 

derStandard.at: Glauben Sie, dass die Gesellschaft heute rassistischer ist?

 

Ninić: Nein, überhaupt nicht. Die Auseinandersetzung mit Faschismus hat in Österreich ja extrem spät angefangen, mit der Kandidatur Kurt Waldheims. Das sind Dinge, die schlummern tief in den Köpfen der Menschen. Ich glaube, dass es eher weniger geworden ist, durch die globalisierte Welt, die Ostöffnung. Es gibt viel mehr Kontakte, persönliche Reisen und so weiter.

 

derStandard.at: Warum kann Strache dann mit Sprüchen wie "Daham statt Islam" punkten?

 

Ninić: Solche Sprüche hat es immer gegeben in Österreich. Die Altnazis in der FPÖ, die SS-Kameradschaft, der Briefbombenterror, Jörg Haiders Warnung vor der "Umvolkung" - das ist nichts Neues.

 

derStandard.at: Sollte sich die SPÖ vor den Blauen fürchten?

 

Ninić: Es ist nie schlecht, wenn man sich ein bisserl fürchtet. Dann wird man vielleicht aktiver. Ich finde ja nach wie vor, dass Österreich gut dasteht. Bei uns gibt es keine Türkenghettos wie in Berlin. Aber die staatlichen Stellen haben etwas nachzuholen. Es gibt viele Tschuschen im Sport und in der Wirtschaft, aber wenige in der Politik. Es gibt kaum einen Sektionschef, der Djamilovic oder Kurtoğlu heißt. Ich glaube nicht, dass die Leute weniger qualifiziert wären, aber durch ihren fremden Namen sind sie irgendwie suspekt und werden diskriminiert. derStandard.at:

 

Wie viele "Tschuschen" hören die Tschuschenkapelle?

 

Ninić: Immer noch viel zu wenige, aber immer mehr. Grundsätzlich gehen Arbeiter ja sehr wenig ins Konzert. Wenn sie wohin gehen, dann ins Stadion oder zu Leuten, die bekannt sind aus Funk und Fernsehen. Bei den Gastarbeitern ist das noch extremer. Aber nun gibt es eine neue Population von Ausländern, eine intellektuellere Schicht. Die intellektuellen Gastarbeiter haben uns gleich ins Herz geschlossen. Und nachdem wir immer öfter ins Fernsehen kommen, sind wir mittlerweile auch bei den normalen Tschuschen recht bekannt.

 

derStandard.at: Stört es Sie manchmal, dass Sie seit zwanzig Jahren im Folklore-Eck sitzen?

 

Ninić: Im Gegenteil! Ich liebe Volksmusik und stehe dazu. Wir pflegen sie und versuchen sie ein bisschen weiter zu entwickeln.

 

derStandard.at: Wie stehen Sie zum Turbofolk?

 

Ninić: Man soll ja keine Musikrichtung verteufeln. Aber im Großen und Ganzen ist es Kitschmusik, kommerziell kaputt gemachte Volksmusik, viel Geschrei um nichts, falsch und verlogen. Ähnlich wie die alpenländische volkstümliche Musik.

 

derStandard.at: Sie sind in Slawonien aufgewachsen. Haben Sie dort je ein Konzert gespielt?

 

Ninić: Nein. Aber voriges Jahr waren wir zum ersten Mal in unseren ehemaligen Heimatländern auf Tournee - in Kroatien, Serbien, Montenegro, Bosnien, Albanien.

 

derStandard.at: Warum nicht schon früher?

 

Ninić: Ganz einfach: Weil uns niemand eingeladen hat. Man kann ja nicht selber hingehen und einfach so auf der Straße spielen. Und Propheten im eigenen Land haben es immer am schwierigsten (lacht). -Nein, unser Land ist ja Österreich. Wenn wir in Brasilien spielen, sind wir nicht irgendeine serbische oder rumänische Band, sondern österreichische Botschafter.