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Büchergilde, 2005

 

Interview zur Erscheinung der „Best of“ - CD der Wiener Tschuschenkapelle

 

Von Jürgen Sander

 


Lieber Herr Ninic, bei der Büchergilde erscheint nun Ihre neueste CD Best of Wiener Tschuschenkapelle. Sie sind sicher schon oft gefragt worden, aber dennoch: Was bedeutet „Tschuschen“?

 

Tschusch ist ein Schimpfwort und bezieht sich in der Regel auf einen Südosteuropäer (Kroaten, Serben, Bosnier, Bulgaren, Rumänen, usw.). Ein Tschusch ist faul, schmutzig, unehrlich und unerwünscht, höchstens geeignet für irgendwelche niedrigere Arbeit. Seit der Gründung und dem Erfolg der Wiener Tschuschenkapelle haben die populistischen Politiker in Österreich ihre liebe Not mit dem Ausdruck, denn inzwischen ist die Band bekannter als dieses ursprünglich böse Wort. Ich glaube, daß es aus dem Russischen kommt, es heißt dort fremd, minderwertig.

 

Der Untertitel lautet Wien-Rennweg, Balkan. „Der Balkan beginnt in Wien, am Rennweg“, soll Fürst Metternich mal gesagt haben. Können Sie Nicht-Wienern erklären, was der Rennweg ist?

 

Der Rennweg ist eine Straße in Wien, die eben in den Südosten führt. Allerdings ist die Gegend auch als „Botschaftsviertel“ bekannt und schließlich liegt auch das berühmte Wiener Prachtschloß Belvedere am Rennweg. Jetzt kann man es sich natürlich aussuchen, was der Fürst Metternich mit dem Spruch gemeint haben mag, vielleicht war er nur über einen Botschafter (den französischen ?) verärgert.

 

Sie spielen Stücke aus den unterschiedlichsten Regionen, ob das Kroatien, Bosnien, Albanien, Rumänien, Griechenland, Polen oder Ungarn ist. Wie finden Sie die Stücke, oder bringen Ihre Musiker, die ja ebenfalls aus den unterschiedlichsten Regionen kommen, diese Stücke mit?

 

Mit dieser Musik bin ich und auch die meisten Musiker in der Tschuschenkapelle groß geworden. Die hat man im Radio gehört, Eltern und Großeltern haben die Lieder gesummt, bei Geburtstagsfeiern und Hochzeiten hat man kaum „westliche“ Musik gespielt und jetzt ist es auch noch so – wenn die Fete richtig losgehen soll, werden die alten Lieder hervorgeholt, mit denen identifiziert man sich, die drücken aus, was einen bewegt, Liebe, Eifersucht, Traurigkeit und Wehmut, Ausgelassenheit und Melancholie, je nachdem wie lang der Abend ist. Also kennt man das, oft wissen die Leute nicht, daß etwas ursprünglich ungarisch oder rumänisch ist, es gibt Übersetzungen und natürlich haben wir das in der Band bewußt erweitert und diese Vielfalt zum Programm erhoben. Vor 17 Jahren waren wir einsam auf weiter Flur und eine Art Vorreiter, jetzt in der Zeit der worldmusic gibt es viele Musikgruppen, die einen ähnlichen Weg einschlagen, übrigens mit gutem Erfolg.

 

Seit den Filmen von Kusturica ist diese Art von Musik zumindest in Deutschland sehr populär geworden. Wie erklären Sie sich das?

 

Vielleicht werden damit Stimmungen assoziiert, eine gewisse Ausgelassenheit und das Feeling „ist doch eh`alles wurscht“, eine Art orientalen Fatalismus. Es spielen auch Bilder eine Rolle, schließlich ist Kusturica Filmemacher, zwanzig, ja dreißig Bläser, die da einem das Leid wegblasen, dabei sind diese Bläser zu 99% Zigeuner, deren Blaskapellen immer ein Geheimtipp waren und auf relativ kleine geographische Regionen beschränkt. Goran Bregovic, übrigens der größte balkanische Hochstapler, hat sehr viel Geld damit verdient, indem er die Leute hat spielen lassen und dann mit made by Bregovic gezeichnet. Andererseits befinden wir uns tatsächlich in einem Worldmusic-Zeitalter, die Menschen sind sensibilisiert für das originelle, ursprüngliche und fallen nicht mehr so leicht auf den Mainstream aus den sogenannten Unterhaltungsfabriken herein.

 

Auf der CD sind auch einige Wiener Lieder. Warum haben Sie diese Stücke in Ihr Programm aufgenommen. Auf den ersten Blick ist das ja ein anderer Musikstil?

 

Das Wienerlied war schon immer slawisch, ungarisch angehaucht. Angeblich ist das Wienerlied das einzige deutschsprachige Volkslied, in dem Molltonarten vorkommen. Das paßt sehr gut zu dieser Stadt, die ja ein Schmelztiegel der Nationen ist. Wir Tschuschen leben in Wien und wollen nicht mit geschlossenen Augen in die Ferne blicken, das Wienerlied mit seiner Raunzerei, Selbstironie und Todessehnsucht ist uns näher als wir wahrhaben wollen. Wir bringen eine zusätzliche, tschuschische Note hinein. Das Ganze ist auch ein Ausdruck unserer Liebe zu dieser Stadt, außerdem ärgern wir mit unserem Wienerliedengagement einige nationale Recken, die das Wienerlied als Spielwiese ihrer weinseligen Deutschtümelei sehen.

 

Sie haben mit den Wiener Philharmonikern in der Wiener Oper gespielt. Wie kam das zustande und wie haben sich die beiden musikalischen Welten miteinander vertragen?

 

Die Deutsche Gramophon-Gesellschaft wollte mit den Wiener Philharmonikern die Oper „Lustige Witwe“ für eine CD aufnehmen. In der Originalpartitur von Franz Lehar kommt im zweiten Akt eine Tamburizzakapelle vor, die bei einem „postvedrinischen“ Fest aufspielt und der Dirigent Sir John Eliot Gardiner dürfte kurz vor den Aufnahmen mit Entsetzen festgestellt haben, daß keine Tamburizzakapelle von der Regie vorgesehen war. Dann sind die Telefone in Wien heißgelaufen, und irgendwer dürfte zugeflüstert haben, das könne nur die Tschuschenkapelle machen und sonst niemand, weil von den Tamburizzamusikanten sind die die einzigen, die Noten lesen können! So ist man bei uns gelandet, und obwohl wir keine Tamburizzaspezialisten waren, haben wir die Partitur tatsächlich in einer Nacht durchstudiert und am nächsten Tag beim Vorspielen einen großen Applaus von den Philhamonikernkollegen bekommen, so war die Sache „gekauft“. Dabei war es gar nicht so schwer. Wir haben dann später viele Male live in der Wiener Staatsoper, wo die Oper aufgeführt wurde, mitgespielt, sogar in der Milleniums-Silvesternacht. Die Philharmoniker haben uns wohlwollend unterstützt, wir durften einmal sogar auf dem Philharmonikerball aufspielen.

 

Musik ist, wenn das Herz flattert“, sagten Sie in einem Interview. Offenbar funktioniert das besonders gut bei der Musik, die Sie spielen. Flattert auch bei Ihnen und Ihren Musikern noch das Herz?

 

Ich erwische mich auf der Bühne, wenn ich gerade nicht mitspiele, beim Zuhören, ich denke, Mensch, das, was da meine Kollegen spielen, ist so großartig, mir kommen fast die Tränen. Ja, und dann spiele ich selber wieder, und singe, und oft muß ich die Zähne zusammenbeißen, daß ich ja nicht sentimental werde, denn nicht ich sondern das Publikum soll weinen, aber ohne das eigene Gefühl geht trotzdem nix. Dem eiskalten Musiker, der ohne Emotion seine Musik perfekt vorträgt, für Geld, Ehre und Ruhm, glaube ich nicht. Der lügt, oder er kann es gar nicht. Natürlich gibt es auch umgekehrt den Fall, daß Musiker allerlei Emotionen vortäuschen, Verwunderung, Entschlossenheit, Begeisterung – bis zum Selbstbetrug. Im Profileben ist es oft so, daß man in der Garderobe, fünf Minuten vor dem Auftritt denkt, um Gottes Willen, ich muß jetzt raus, wie soll denn das gehen, ich bin gar nicht „drauf“, usw. Vielleicht flattert manchmal einem das Herz vor lauter Angst, daß alles in die Hose geht.

 

Wir sind Synonym für ,,erfolgreiches Zusammenleben der Kulturen" und manchem Ewiggestrigen ein Dorn im Auge. Gut so“, haben Sie mal gesagt und damit auch eine politische Botschaft formuliert. Hat sich das Klima mittlerweile geändert, oder spüren Sie immer noch Aversionen?

 

Mittlerweile sind wir eine anerkannte Band, wir haben bei Staatsakten gespielt, vor dem Bundeskanzler und für den Bundespräsidenten. Vielleich werden wir auch als eine Art Feigenblatt genützt, um vorzugeben, daß man liberal ist und eh nix gegen Gastarbeiter hat. Ich stehe diesem Phänomen aber positiv gegenüber, schließlich ist es gut zu sehen, daß man manche Türen nicht einschlagen muß, weil sie ja offen sind. Ewiggestrige wird es immer geben, die erreicht unsere Botschaft sowieso nicht, dafür ist uns eine große Mehrheit der Österreicher für unsere Musik dankbar und empfindet uns als eine österreichische Band „par exellence“ und als Teil der österreichischen Gesellschaft und Kultur.

 

Wie schlägt sich Ihre politische Haltung in Ihrer Musik nieder?

 

Wir sind vom Balkan und keine Nationalisten. Wir treten eben für das „erfolgreiche Zusammenleben der Kulturen“ - wobei ich nichts mehr verabscheue als Assimilation und Mainstream. Wir spielen Benefize für Alte, Obdachlose, Arbeitslose, Kinder. Für treten für politische Rechte der Gastarbeiter ein, nicht nur auf das Recht auf eine eigene Kultur, sondern auf eine wirkliche Gleichstellung am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft. Nur machen wir das nicht mit politischen Parolen, sondern eher mit dem „Wiener Schmäh“.

 

Wie kam es vor ziemlich genau 15 Jahren zur Gründung der Wiener Tschuschenkapelle?

 

In den Arbeitspausen haben wir musiziert, ein Türke, ein Österreicher und ich (Kroate). Mit großer Freude haben wir festgestellt, daß das geht, und daß es schön ist. Das am Anfang zufällige Publikum hat es mit Wohlwollen bestätigt. So durften wir bei mancher Geburtstagsparty spielen, wobei der Kreis der Leute, denen die Musik gefiel, immer größer wurde. Irgendwann beschlossen wir, eine richtige Band zu gründen, nur der Name fehlte uns. Da sagte ein Freund eher im Spaß, nennt euch doch Tschuschenband, weil Tschuschen seid´s eh´. So passierte es eben, nachher kamen Profimusiker dazu. Inzwischen haben wir sieben oder acht CD-s aufgenommen, haben gespielt auf der halben Welt, in Kanada und Brasilien, in Marokko und Italien, in Belgien und in Deutschland sowieso, und weiß Gott wo noch.

 


„Ich will mich nicht begrenzen auf die Musik, die in meinem Dorf gespielt wird. Es gibt ja viele Dörfer auf der Welt.“, haben Sie mal gesagt. Sie machen also gerne Ausflüge in andere musikalische Regionen. Was interessiert Sie daran besonders?

 

Wenn die Musik ein Gefühl ausdrückt, das zugleich mein Gefühl ist, ist mir diese Musik nicht fremd, es ist sofort meine Musik. Und dann frage ich mich: wodurch Großartiges unterscheidet sich denn das Nachbardorf von meinem eigenen? Und das ist ja das Faszinierende, es unterscheidet sich doch! Um diese Nuancen geht es, die man zuerst einmal wahrnehmen muß, um sie sich eigen zu machen. Aber alle Vorsicht ist geboten, man kann elephantenhaft, wie der Mensch an sich ist, sehr viel Porzellan zerschlagen. Eine akademische Überheblichkeit ist da fehl am Platz, ich kenne genug cross-over CD-s und Bands, die glauben, Hauptsache ist, man mischt diverse Stile. Das Resultat ist oft ein grauslicher Eintopf.

 


Sie haben ja auch eine Konzertreise nach Afrika unternommen. Wie hat das dortige Publikum auf Ihre Musik reagiert?

 

Wir haben gespielt z.B. in Harare im französischen Kulturklub. Wir Musiker waren Europäer - Franzosen, Schweizer und Dänen, die da im Publikum waren, haben uns wie Brüder behandelt und haben die von uns vorgetragene Tschuschenmusik beinahe als Musik aus ihrem Dorf empfunden. Dann wiederum haben wir vor Menschen gespielt, die nie im Leben eine Geige oder Akkordeon gesehen oder gehört haben und die sich bei jedem Ton wie Kinder gewundert und gefreut haben. Dafür haben aber auch wir Musik gehört, z.B. in Zimbabwe, in der sogenannten Tonga-Area, die wir nicht einordnen konnten, in tonal oder atonal, rhythmisch periodisch oder chaotisch, wo wir uns überhaupt nicht ausgekannt haben, Mensch, was ist das für ein Wahnsinn. Die erste Nacht haben wir diskutierend in einem wirklichen musikalisch-philosophischen Taumel verbracht. Dabei hat uns allen die Musik bis ins Mark gefallen, aber unsere europäischen, rationalen Schädel waren zu kurz gekommen. Es waren lehrreiche Tage und unvergessliche Erlebnisse und Begegnungen mit Menschen. Mir kommt jetzt noch vor, in diesen vier Wochen mehr erlebt zu haben, als vorher in einem Jahr. Ich hoffe, dass auch wir den Menschen etwas geben konnten, wenigstens ein Gefühl unserer Solidarität mit ihrer Not.

 


Was sind Ihre nächsten Projekte. Werden Sie 2006 Konzerte in Deutschland geben und wo kann man die Wiener Tschuschenkapelle live erleben?

 

Unser Topkonzert in Deutschland findet am 19.5.2005 in Berlin in der ufa-Fabrik. Danach fahren wir gleich nach Tirol und im Augenblick weiß ich gar nicht, wie es weiter geht. Schauen Sie auf unsere Homepage: www.tschuschenkapelle.at. Bei uns kommen Konzerte oft ziemlich kurzfristig herein. Wir haben auch keine große Konzertagentur, die uns promotet, sondern man ruft bei mir an und ich feilsche dann um die Gage und Fahrtkosten. Als nächstes wollen wir mit dem 78-jährigen Akkordeonaltmeister Jovica Petkovic eine CD der bosnischen Sevdalinka-Musik aufnehmen, inzwischen haben wir ein eigenes Label, es heißt, dreimal dürfen Sie raten: Tschuschenton, abgekürzt: TNT.