Eine Reihe von Interviews mit Slavko Ninić,

dem Bandleader der Wiener Tschuschenkapelle.

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 Kronen Zeitung, vom 3.3.2024

Jubiläumsinterview
Wie eine Gruppe das Wort „Tschusch“ entschärfte

von Robert Fröwein 

Vor mehr als 50 Jahren kam Slavko Ninić von Slawonien aus nach Wien - und blieb. 1989 gründete er die Wiener Tschuschenkapelle, die mit Ethno-, Balkan-, Weltmusik und einer kräftigen Portion Humor und Ironie nicht nur für Toleranz und Respekt stehen, sondern auch das einst verpönte Wort „Tschusch“ entschärften und humorisierten. Zum 70er von Ninić und dem 35er seiner Band trafen wir den Bandleader zum großen Jubiläumsgespräch. 

„Krone“: Herr Ninić, dieses Jahr feiern Sie ein Doppeljubiläum. Sie wurden unlängst 70, die Wiener Tschuschenkapelle ist 35. Wie haben Sie bislang gefeiert?
Slavko Ninić:
Diese Zahl war mir erst ein bisschen unheimlich. Der 70er ist eine Schwelle, von wo man nicht mehr zurückkommt. Ich habe mich zurückgezogen und in meiner Wohnung am Meer Bücher gelesen und Gitarre gespielt. Ich habe nichts getrunken und niemanden getroffen. Aber jetzt ist wieder alles okay und wir feiern am 9. März im Konzerthaus nach.

Die Wiener Tschuschenkapelle prägt exakt Ihr halbes Leben. Hätten Sie sich zu Beginn gedacht, dass diese Gruppe so lange existieren würde?
Auf keinen Fall. Wir haben es anfangs ein Jahr lang probiert, so lange konnten wir mit dem Ersparten überleben. Sollte es halbwegs klappen, bleiben wir dabei, sonst suchen wir uns einen anderen Job. Wir kamen aber schnell ins Radio und Fernsehen und bauten uns ein Publikum auf. Wir brauchten keine Jahre, um bekannt zu werden. Heute spielen wir nach wie vor relativ viel live.

Was war denn die Grundidee hinter der Tschuschenkapelle?
Das ist schwer zu sagen. Vielleicht haben wir den Nerv der Zeit getroffen, aber das stimmt auch nicht wirklich. Es gibt Bands, die zwei Jahre lang aufflammen und dann wieder verschwinden. Vielleicht lag es an der Kontinuität und der Ehrlichkeit zu uns selbst. Wir haben uns nie kommerzialisieren lassen und sind nie mit irgendwelchen Trends gegangen. Wir blieben bei unserem Stil, der sich natürlich entwickelt hat, aber der Grundstamm blieb immer so, wie er anfangs war.

Es ging von vornherein darum, offen und vielseitig zu sein. Quasi eine Art Weltmusik zu erschaffen.
So ist es. Wir haben uns nicht von den Einflüssen abgehoben, sind aber immer bei der Grundidee geblieben, die Lieder so einfach und ursprünglich wie möglich zu gestalten. Wir haben uns etwa vom Wienerlied und viel von Balkan-Musik, aber auch von türkischem und griechischem Liedgut inspirieren lassen. Zudem hatten wir immer viele Gäste aus den jeweiligen Kulturen, die repräsentativ waren. Auf der letzten CD hatten wir etwa Roland Neuwirth von den Extremschrammeln, Rudi Pietsch oder Willi Resetarits drauf. Wir hatten immer viele Unterstützer, Helfer und Freunde und genauso waren wir gern gesehene Gäste bei ihnen.

Den Namen haben Sie damals gewählt, um das Schimpfwort „Tschusch“ zu entkräften und mit augenzwinkernder Ironie zu durchziehen.
Als der Name fiel, haben wir damals alle gelacht. Ich war anfangs skeptisch, weil „Tschusch“ ein Schimpfwort sei, aber die Kollegen haben mich davon überzeugt, dass wir damit in die Offensive gehen könnten. Zu einem guten Teil ist das auch gelungen. Meiner Meinung nach ist das Wort heute nicht mehr so giftig wie vor 35 Jahren. Damals war es relativ böse.

Der Begriff wurde auch von jüngeren Künstlern übernommen. Etwa von EsRAP, mit denen Sie bei den Wiener Festwochen aufgetreten sind und die ihr „Tschuschistan“ als ein Utopia betrachten, in dem alle Menschen friedlich miteinander leben können.
Wir haben sich gegenseitig Tschusch genannt, wenn einer aus dieser Gegend war. So hat man sich geneckt, aber es war kein Geschimpfe mehr. Irgendwann wurde Tschusch für mich ein Synonym für einen guten Musiker.

Hatten Sie von Anfang an einen klaren gesellschaftspolitischen Gedanken mit diesem Projekt?
Ja, wir haben einen gewissen kulturpolitischen Auftrag, unsere Kultur den Menschen hier näherzubringen. Die Menschen von dort integrieren sich in der österreichischen Gesellschaft, pflegen ihre Kultur aber weiter. Wir waren sicher Pioniere dafür, dass wir uns nicht in einem ausländischen Ghetto verschlossen haben, so wie viele Gruppen, die dauernd unter sich sind. Sie bleiben in ihrem Keller und spielen nicht für die Österreicher und das Land, in dem sie leben. Unser Publikum war in erster Linie österreichisch und mit der Zeit kamen dann auch die Tschuschen dazu. Wir haben einmal für die Belegschaft der Firma IBM gespielt. Ein kleiner Bub hat auf uns gezeigt und gemeint „Schau Papa, Tschuschenkapelle“ und der Papa entgegnete ihm sofort, dass man das nicht sagt. (lacht) Der österreichische Gewerkschaftsbund hat uns anfangs boykottiert, weil sie die Ironie nicht erkannten und dachten, wir beleidigen unsere ausländischen Kollegen. Manches hat ein bisschen gedauert.

Würden Sie sagen, dass sich die Gemeinschaft und das Leben unterschiedlicher Kulturen untereinander in den letzten 35 Jahren in Wien verbessert hat?
Ich glaube schon, das liegt aber auch daran, dass die Menschen sich in der Gesellschaft integrieren und nicht danebenstehen. Die Gesellschaft befindet sich immer in einem Umbruch. Jetzt kommen gerade die ukrainischen Flüchtlinge, vorher waren es die syrischen. Die Tschuschen sind als klassische Ausländer in den Hintergrund geraten und schon in der dritten Generation hier.

Zeiten ändern sich - würden Sie ihre Gruppe, wenn Sie sie heute starten würden, wieder Tschuschenkapelle nennen?
Vielleicht ist der Name gar nicht mehr so aktuell. Ich weiß es nicht. Wir sind mittlerweile auch ein historisches Produkt. (lacht)

Die Tschuschenkapelle hat sich musikalisch so gut wie nichts und niemandem verwehrt. Das ging hoch bis in die Klassik. Ist das mitunter ein relevantes Erfolgsgeheimnis?
Es gibt schon eine Grenze und ich habe eine große Ehrfurcht vor fremden Kulturen. Man soll nicht alles in einen Topf werfen und daraus eine eklektische Mischung produzieren. Es muss schon gut sein und musikalisch sitzen. Wenn ich griechisch singe, achte ich sehr darauf, dass die Aussprache korrekt ist und jeder Ton sitzt. Wenn mich ein Flüchtling aus Griechenland hört, soll er sich nicht denken, es singt ein deppater Ausländer. Mit den Wienerliedern ist das gleich. Ich mag den Schmäh, aber ich zeige damit, dass ich nicht aus Ottakring komme. Ich tue nicht so, als wäre ich von dort.

Schmäh und Humor sind immer wichtig, um prekäre Situationen zu entschärfen. Humor steht sinnbildlich für ein gutes Miteinander.
Wer nicht bei unseren Konzerten war, der soll auf jeden Fall einmal vorbeischauen. Ich quatsche immer zwischen den Liedern, erkläre sie und erzähle übertriebene Geschichten, die ich dazugedichtet habe. Es kommt immer darauf an, wie gut ich gerade drauf bin.

Was die Tschuschenkapelle auch auszeichnet: Sie kann im Konzerthaus oder der Staatsoper auftreten, genauso aber auch beim Bezirksheurigen oder auf Firmenevents.
Das gefällt mir wirklich sehr. Wir haben in der Staatsoper gespielt und gleichzeitig am Traktoranhänger neben einem ehemaligen Kuhstall. Wir haben schon in ganz Europa, in New York und in Brasilien gespielt. Musik gehört ins Leben. Wo das Leben stattfindet, dort ist die Musik. Es ist aber natürlich eine große Ehre, im Konzerthaus oder in der Staatsoper zu spielen. Das ist für jeden Musiker eine hohe Auszeichnung. Ich spiele aber auch bei Geburtstagsfesten. Ich habe mal von Richard Lugner eine Werbung übernommen. Er schrieb einmal auf seinen LKW „Wir bauen nicht nur Moscheen“. Das fand ich gut. Ich machte dann ein Prospekt, in dem stand „Wir spielen nicht nur in der Staatsoper“. (lacht)

Als Opernfan war es für Sie wahrscheinlich ein Highlight, in der Staatsoper mit der Tschuschenkapelle „Die lustige Witwe“ von Lehar zu spielen?
Selbstverständlich und lustig, wie es dazu kam. Dirigent John Eliot Gardener hat in Lehars ursprünglichem Libretto gefunden, dass dort eine Tamburica-Kapelle hingehört. Einen Tag vor der CD-Aufnahme mit den Philharmonikern haben sie verzweifelt nach Musikern gesucht und so kamen sie zu uns. Ich bekam einen Anruf, ob wir morgen in der Staatsoper spielen wollen. Seid ihr verrückt? Mir wurde dann der Fall erläutert. Die Dame sagte am Telefon eine Summe, wo mir sofort klar war, dass wir dabei sein würden. (lacht) Wir bekamen die Noten per Fax, ich trommelte die Band bei mir in der Wohnung zusammen und wir haben alles über Nacht einstudiert. Am nächsten Tag war die Probe mit den Philharmonikern im Musikverein. Der Dirigent fragte die Musiker, ob die Tschuschenkapelle in Ordnung wäre und sie waren begeistert. So waren wir dann im Spiel. Dann wurde eine CD aufgenommen und nachträglich wurde die Oper 20 oder 30 Mal gespielt. Wir sind da auch zu meinem Geburtstag aufgetreten.

Wie hat sich die Tschuschenkapelle für Sie als Bandleader über die letzten 35 Jahre verändert bzw. entwickelt?
Die Band war lange zusammen, aber dann wurden ein paar Musiker sehr schnell sehr bekannt. Wohl auch, weil es eben die Kapelle gab. Sie starteten dann einzelne Solokarrieren und so gab es immer mal wieder Fluktuation. Das ging etwa 15 Jahre so, aber seit ca. 22 Jahren ist die Band konstant. Es sind immer dieselben fünf Leute dabei. Die Kollegen spielen auch woanders, aber die Priorität liegt bei der Tschuschenkapelle.

Ihr spielt auch vor völlig unterschiedlichem Publikum. Fühlt sich jeder Auftritt, wo auch immer er stattfinden mag, für Sie ähnlich an?
Wir passen das Programm natürlich an, aber wir kamen immer gut an und hatten nie ein Problem. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand jemals aus dem Konzert gegangen wäre.

Was sind die wichtigsten Eigenschaften, die Sie als Bandleader brauchen, um diesen Dampfer so lange auf Kurs zu halten?
Man muss die Arbeit selbst schön finden und die Überzeugung haben, dass man etwas Gutes macht. Wenn man eine Mogelpackung verkauft, wird kein Erfolg gelingen. Es gibt einen Grund, warum uns Leute hören und das merke ich an ihren Gesichtern nach dem Konzert. Es tut ihnen nicht leid, wenn sie Geld für uns bezahlt haben, denn sie nehmen ein gutes Gefühl mit nach Hause.

Sie haben die Gäste und Freunde angesprochen - inwiefern haben Personen wie Willi Resetarits Wesen und Erfolg der Tschuschenkapelle geprägt?
So bekannte Persönlichkeiten wie Willi oder Roland Neuwirth haben uns natürlich vorangebracht. Das tut gut für das Image. Andererseits wären sie nicht dabei, wenn sie nicht selbst der Meinung wären, dass das was Gutes ist. Sie sind ja nicht überall dabei. Wir waren auch oft bei ihnen als Gäste eingeladen.

Wie sehr fehlt eine Person wie Willi Resetarits der heutigen Gesellschaft?
Der Verlust von Willi ist rundum spürbar. Er war wirklich eine integrative Person und konnte mit allen reden und auskommen. Einen Tag nach seinem Tod habe ich mit einem Taxifahrer geredet, der mir sagte: „So einen wie Willi wird es nie mehr geben“. Willi for President - das wäre durchaus eine Möglichkeit gewesen. Ich hätte ihn als Bundespräsident gewählt.

Sie sind 1972 nach Wien gekommen. Warum nicht Berlin, Amsterdam oder sonst wohin?
Das war reiner Zufall. Ich habe in meiner kroatischen Heimatstadt die Matura gemacht und war vorher drei, vier Jahre in Deutschland. Ich musste viel lernen und wollte keine Bücher mehr sehen. Dann kamen die Ferien und ich reiste einfach drauflos. Wien hat sich ergeben, weil es hier Arbeit gab. Ein Freund schrieb mir, dass es dafür eine Unterkunft geben würde. Es hätte damals genauso Frankfurt sein können, aber bekanntlich ist es so, dass wenn man mal in Wien landet, dann bleibt man ewig. Einmal Wien, immer Wien. (lacht)

Wie haben Sie das Wien der 70er-Jahre als damals junger Mensch in Erinnerung?
Wien war eine graue Stadt. Ich erinnere mich daran, dass es keine Schanigärten gab und es verboten war, im Stadtpark über die Wiese zu gehen. Es war sehr streng und ziemlich Ostblock-mäßig, was die Regeln des Lebens anging. Es war so gut wie alles verboten - so hat es sich auch angefühlt. Man schimpft heute über die permanente gesellschaftliche Kontrolle durch die öffentlichen Kameras, aber damals war alles viel schlimmer.

Wie war das Wien der 70er-Jahre für Sie, der aus dem Balkan kam?
Wir waren damals Exoten, als wären wir von einem fremden Planeten. Wir waren gut zum Arbeiten, aber dass wir Bedürfnisse nach Kino oder Musik oder Familien hatten, das war allen fremd. Die Südländer waren nur zum Arbeiten da, aber zum Teil haben sich die Leute selbst so gesehen. Manche wollten zwei Jahre lang Geld verdienen und dann zurück, aber meist kam es anders. Die Familien kamen nach, Kinder gingen in die Schule und man gab irgendwann die Hoffnung auf, zurückzukehren und blieb.

Mittlerweile ist Wien ein Epizentrum für Kultur und Sie haben den Wandel Wiens selbst miterlebt. Wie wichtig ist Kultur für das Glück und die Zufriedenheit einer Gesellschaft?
Das Leben wird fröhlicher und die Welt ein bisschen heller. Kultur hebt die Lebensqualität, weil man lieber in einer Gesellschaft lebt, in der man sich frei bewegen kann und wo man viele Angebote hat. Wien war nicht autokratisch, aber es gab früher so viele Reglements und Verbote. Alles war zu konservativ. Wenn man lange Haare hatte, war man schon verdächtig. Ich war sehr froh, dass mir meine Mama das erlaubt hat. Ihre Freundinnen haben immer geschimpft, aber sie hat mich verteidigt und gesagt „Schön ist er, der Bub!“ (lacht)

Wo fühlen Sie sich zu Hause? Was benötigen Sie für dieses Gefühl?
Zu Hause kann man dort sein, woran man sich gewöhnt hat. Ich lebe seit mehr als 50 Jahren in Wien und kann mir nicht mehr vorstellen, woanders zu leben. Ich habe eine Wohnung am Meer und das Haus an meinem Geburtsort ist noch da, aber mein Zuhause ist Wien. Man würde auch kaum mehr als 50 Jahre wo leben, wo man sich nicht wohlfühlt. Ich weiß, in welchem Wirtshaus ich willkommen bin, wie man mit Menschen umgeht, wann man grüßt und wann man sich zu entschuldigen hat. Das lernt man mit der Zeit und in der Umgebung, in der man lebt.

Und was ist Ihr wichtigstes Wirtshaus?
Es war das legendäre Makedonija. Das war damals unsere Kirche. Da haben sich alle möglichen Nationalitäten aus der Kunstszene getroffen. Maler, Bildhauer, Musiker, Filmemacher und Fotografen. Man konnte sich an jedem Tisch dazusetzen und es war immer jemand da, egal wann man kam. Es gab noch keine Handys, aber man hat immer jemanden getroffen. Als das Wirtshaus sperrte, hatten wir unsere Kirche verloren, das war wirklich schmerzhaft. Natürlich findet man dann auch andere Plätze, aber das Makedonija war zentral.

Wie wichtig ist es denn für die Wiener Tschuschenkapelle, mit der Zeit zu gehen? Stichworte: Streaming, YouTube, TikTok…
Mit dem Streaming haben wir uns nicht so sehr auseinandergesetzt, aber selbstverständlich kann man unsere Lieder auch dort kaufen. Weil es wieder modern wurde, bringen wir auch wieder eine Doppelplatte raus, aber ich fand es immer falsch, jede Mode sofort mitzumachen. Gerade was die Inhalte der Musik betrifft, muss man da aufpassen. Das rächt sich irgendwann. Man muss seinem Stil treu bleiben, das goutiert das Publikum am Ende. Wenn man bei sich bleibt, geht das Publikum mit einem mit.

Was wäre aus Ihnen geworden, wenn die Tschuschenkapelle nicht so aufgegangen wäre?
Ich bin gerichtlich beeideter Dolmetscher und das mache ich nach wie vor. Ich habe Soziologie und Germanistik studiert und abgeschlossen. Die Musik war ein zufälliges Nebenprodukt, das sich gut entwickelte. Ich hatte früher immer Angst vor der musikalischen Professionalisierung. Vor allem davor, dass ich den Spaß daran verlieren könnte. Gott sei Dank ist dieser Fall aber nie eingetreten. Deshalb war ich auch schon recht alt, als wir damit wirklich begonnen haben.

Die Tschuschenkapelle spielt heute noch immer etwa 30 Konzerte pro Jahr. Ist das das Maximum, das sich physisch noch ausgeht?
Früher waren es schon mal 60 oder 70 Gigs pro Jahr. Hochgerechnet ist es jetzt etwas weniger als eines pro Woche. Ich kann mir nicht vorstellen, das nicht mehr zu machen. Was dann? Nur Bücher lesen und in den Himmel starren? Das ist nicht meins, das ist mir zu langweilig. Es gibt den Spruch, dass ein Künstler nicht in Pension geht. Da ist schon was dran. Vielleicht ist es Leidenschaft, vielleicht kann man nichts anderes. (lacht) Wenn es einem ermöglicht wird, dann sollte man das nutzen. Als Beamter darfst du gar nicht über deine Zeit arbeiten, bei uns ist es egal. Schauen Sie sich die Rolling Stones an? Vielleicht trete ich mit 80 auch noch auf, wenn ich fit genug bin.

Haben Sie nach all dem Erreichten noch bestimmte Ziele oder Wünsche, die Sie sich erfüllen möchten?
Wir haben in Wien wirklich alles gespielt, was man spielen kann. Man kann nicht mehr erreichen. Wir haben mit unserer Musik tausende Menschen glücklich gemacht. Musikalisch kann man sich immer verbessern und das tun wir nach wie vor. Wir sind noch nicht am Ende. Wenn man glaubt, man könnte nichts mehr lernen, dann ist man bereits abgestürzt. Es ist doch schön, wenn man sich neue Techniken aneignet oder neue Ausrichtungen versucht. Es gibt immer was Interessantes zu entdecken.

Gibt es für Sie auch junge Künstler oder Bands, die in Ihrer Tradition musizieren und wo Sie sich denken, das sieht nach einer geglückten Staffelübergabe aus?
Es gibt eine ganze Reihe von jungen Leuten aus der Szene, die unseren Weg gehen und für die wir vielleicht eine willkommene Inspiration sind. Es ist schön zu sehen, dass sie ermutigt werden, selbst ihre Richtung einzuschlagen. Wir waren Pioniere, aber uns wurde auch auf die Finger geschaut. Es gibt viele sehr gute junge Leute, die in unsere Fußstapfen getreten sind. Wenn wir abtreten, wird kein Loch entstehen und das freut mich.

Woher stammen Sie eigentlich genau?
Ich komme aus Slawonien, das ist die östliche Provinz Kroatiens. Richtung Serbien, unterhalb von Ungarn. Nicht Slowenien, wie das mal von einer EU-Abgeordneten im Balkankrieg verwechselt wurde. Dort herrscht ein großes Völkergemisch. Es gab früher dort viele Deutsche, die auch geblieben sind und jetzt sind viele Leute aus Dalmatien oder Bosnien zugewandert. Das ist ein ordentliches Mischmasch. Xenophobie habe ich auch dort erlebt, sie ist allgegenwärtig.

Und dort steht noch immer Ihr Familienhaus.
Ja, meine Schwester lebt dort und ich besuche sie, so oft es geht. Ungefähr einmal in zwei Monaten, das nächste Mal zu Ostern. Da fahre ich dann ca. sechs, sieben Stunden mit meinem alten Citroën C6 runter. Mittlerweile zickt das Auto schon oft. Ich habe einen guten Vergleich gefunden: Das Auto ist wie eine Frau, die du liebst, die aber ständig fremdgeht. (lacht) Ich muss aber langsam ein neues kaufen, denn die Reparaturen zahlen sich nicht mehr aus. Ich will nicht wie ein Trottel auf der Autobahn stehenbleiben. Ich glaube, es wird jetzt Zeit für ein gutes deutsches Auto. (lacht)

Zweimal Jubiläum in Wien
Am 9. März feiert die Wiener Tschuschenkapelle Geburtstag. Im Wiener Konzerthaus feiert man den 35. und gleich auch den 70. von Bandleader Slavko Ninić. Ein besonderes da capo folgt am 13. September - da spielt die Tschuschenkapelle beim Theater im Park - und zwar mit allen Ex-Tschuschen! Ein einmaliges Erlebnis! Unter www.konzerthaus.at und www.oeticket.com gibt es weitere Informationen und Karten für die Top-Ereignisse der Kultband.

Artikel nachzulesen unter https://www.krone.at/3270518

(Letzter Aufruf 15.4.2024)

 

Wienerin, vom 25.01.2018

 

Die Wiener Patrioten vom Balkan

Die Kultband "Wiener Tschuschenkapelle" steht für multikulturellen Sound zwischen Folklore, Jazz und Klassik. Auf ihrem 15. Album lässt sie mit ihrer Interpretation von Musik aus Österreich patriotische Töne anklingen. Im Gespräch mit Bandgründer Slavko Ninić.

von Catherine Gottwald


Der Name Wiener Tschuschenkapelle steht für zwei Versprechen: zum einen, dass der Sound der 1989 gegründeten Band ordentlich nach Balkan klingt, und zum anderen, dass ein bisserl was Wienerisches beigemischt ist. Tatsächlich stammen die MusikerInnen – um es mit den Worten des charismatischen Bandgründers Slavko Ninić zu sagen – „direkt von der Quelle“: Mitke Sarlandziev (Akkordeon) ist ein mazedonischer Rom, Percussionistin Maria Petrova kommt aus Bulgarien, Jovan Torbica (Kontrabass) ist Serbe und Klarinettist Hidan Mamudov Mazedonier. Am 3. 2. präsentiert die Kombo ihr 15. Album mit dem vielversprechenden Titel „Die Wiener Tschuschenkapelle spielt Musik aus Österreich – Vol.15 - Die Patriotische“ live in der „Kulisse“. Darauf gibt es NUR Musik aus Österreich. Wer an dem Abend ein Album erwirbt, wird auf Lammbraten, Spanferkel, Krautsalat und Sliwowitz eingeladen. „Vegetarier bekommen leider nur Krautsalat“, scherzt Ninić.

 

 

WIENERIN: 1989 war es eine Provokation und ziemlich mutig, seine Band „Wiener Tschuschenkapelle“ zu nennen. Damals war „Tschusch“ ein Schimpfwort. Wie ist es heute?

Slavko Ninić: Ist es nicht heute auch noch ein Schimpfwort? Mir kommt aber vor, dass es weniger verwendet wird und längst nicht mehr so negativ besetzt ist. Ich kann mich erinnern, dass uns ein Freund damals vorgeschlagen hat, wir sollten uns „Tschuschenband“ nennen. Für mich war das anfangs auch nicht ganz koscher. „Deppata, was glaubst du?“ war meine erste Reaktion. Dann hat ein anderer gesagt: „Das ist ja gar nicht so schlecht!“ Dann haben wir alle irrsinnig gelacht.Heute ist es eine anerkannte Band. Bei dem Namen „Tschuschenkapelle“ denkt niemand oder kaum jemand an „den Tschuschen“, sondern an die Band, die man da- und dort gesehen- oder gehört hat. Allein das Wort ist in den Hintergrund getreten.

 
Die "Wiener Tschuschenkapelle" ist Kult. Die Bandmitglieder stammen aus verschiedenen Balkan-Ländern und haben die musikalischen Traditionen ihrer jeweiligen Herkunftsländer mit der Muttermilch eingesogen. Was macht den typischen Sound der "Wiener Tschuschenkapelle"aus?

Wir spielen die Lieder so, wie sie am Balkan klingen. Nur noch schöner. Wir sind Traditionspfleger mit ein paar höheren Kochkünsten.


Wo Sie auftreten, lässt sich das Publikum von Ihrer Musik mitreißen – egal ob mit- oder ohne "genetischen Balkan-Hintergrund". Wie gelingt das?

Musik spricht eine eigne Sprache. Unser Publikum ist bunt gemischt: alt, jung, liberal oder konservativ. Es besteht hauptsächlich aus waschechten Österreichern. Unser Stammpublikum sind keine Migranten, Flüchtlinge oder „klassischen Gastarbeiter“. Wir sind keine Ausländerband. Wir treten am Grätzlfest auf oder im Volkstheater. Inzwischen hat sich eine intellektuelle Schicht von Zuwanderern mit Uni-Abschluss die „Wiener Tschuschenkapelle“ als ihre Band auf die Fahnen geschrieben. Wir spielen auch im Ausland. Wir waren in Brasilien, Kanada …


Sie werden im Ausland also als „österreichische Band“ wahrgenommen?

Wir SIND eine österreichische Band! Da ist ja das Schöne, das wir uns hier gegründet haben, dass wir hier unsere Musik spielen und hier unsere CDs verkaufen und hier bekannt sind. Wir sind nicht bekannt in Serbien oder Kroatien. Solche Bands gibt es unten auch kaum. Weil sind musikalisch gesehen „etwas Eigenes“. Es ist schwer zu definieren. Von den Genres: Es ist ein bisschen jazzig angehaucht und ein bisschen Klassisch und wird so eine Fülle von verschiedenen Einflüssen, von den Orientalen bis Griechisch und Dalmatinisch und Wienerisch, Russisch. Am Balkan gibt es kaum eine Partie, die Ähnliches spielt. Es gibt entweder eine serbische Band oder eine bosnische oder eine mazedonische oder eine dalmatinische … Jeder spielt nur seine eigene Musik. Aber kaum was Vermischtes so was wie wir. Auch gibt es niemanden, dem alten Liedgut so behutsam umgehen würden wie wir. Deswegen sind wir auch so eine Neuigkeit.


Sie mögen den Ausdruck „Crossover“ nicht. Warum?

Musik von verschiedenen Völkern und verschiedenartige Stile zu spielen ist eine Gradwanderung. Mir kommt es drauf an, dass es irgendwie überzeugend ist und echt. Wenn wir ein griechisches Lied spielen, soll es als griechisches Lied erkannt werden. Es soll nicht irgendwie wie ein serbisches oder ein russisches oder wie ein wienerisches Lied klingen. Es ist eine Sünde, wenn man das alles irgendwie in einen Topf hineinhaut und vermischt und nix G’scheites entsteht, sondern nur Eklektizistisches, wobei alle Schönheiten verloren sind. Es soll nicht alles gleich klingen, es soll erkennbar sein. Die Ausdrücke, die Feinheiten, die bei jedem Volk und bei jedem Stück drin sind, muss man erhalten und hervorheben.


Sie singen auch auf Wienerisch …

Natürlich. Wir leben hier in dieser Stadt und es speziell das Wienerlied ist ein großartiges, musikalisches Kulturgut. Musikalisches. Wir spielen Türkisch, Griechisch, Bosnisch und Kroatisch. Warum nicht auch das Wienerlied? Es ist ein Zugang da. Man hört es überall: im Radio, beim Heurigen. Und man kennt Freunde, die das gut machen. Das hat man auch im Ohr. Genau wie die anderen Sachen.


Gibt es auf Ihrem neuen Album auch tradiertes Liedgut aus Wien?

Es gibt darauf nur Musik aus Österreich. Es heißt: „Die Wiener Tschuschenkapelle spielt Musik aus Österreich Vol. 15 – Die Patriotische“. Es gibt Klassisches: ein bisschen Schubert, ein bisschen Mozart, ein bisschen Emmerich Kálmán („Komm Zigan“ aus der Operette „Gräfin Mariza“). Volkslieder aus Tirol und der Steiermark. Lieder mit u.a. Willi Willi Resetarits, Roland Neuwirth und Maria Craffonara. Wir haben halt ausgesucht, was uns taugt und was ein bisschen unser tschuschisches Lebensgefühl ausdrückt.


Sie haben mit Maria Petrova nur eine Frau in der Band. Ist das Zufall?

Warum nicht zwei oder drei weibliche Bandmitglieder? Das ist Zufall. Ich bin froh, dass es diese eine gibt. Ich bin da ziemlich neutral. Egal, ob Mann oder Frau, Bandmitglieder müssen gute Musiker sein. Das andere ist eher sekundär.


Sie moderieren den Flüchtlingsball und setzten sich auch sonst immer bei Benefizveranstaltungen mit Ihrer Band für Flüchtlinge ein. Woher kommt dieses Engagement?

Das machen fast alle Musiker in Österreich. Politisch engagiert zu sein, gehört zum Musik-Machen dazu. Kunst muss für mich immer eine humanistische Note haben sonst ist Kunst nur für sich und in irgendeinem Turm jenseits Leben und will nichts zu tun haben mit dem, was gerade passiert.

Artikel nachzulesen unter http://wienerin.at/home/leben/kultur/5338173/Tschuschenkapelle_Wiener-Patrioten-vom-Balkan 

(Letzter Aufruf: 19.02.2018)

 


 

musicaustria.at, 8. April 2014

Die Wiener Tschuschenkapelle – seit 25 Jahren Teil der Österreichischen Musikgeschichte: Slavko Ninić im mica-Interview

Spricht man über die Wiener Tschuschenkapelle (ursprünglich Erste Wiener Tschuschenkapelle), so spricht man über eine Formation, die wie nur wenige andere die Musikgeschichte Österreichs des letzten Vierteljahrhunderts (2014 feiert die Band ihr 25-jähriges Bestehen) mitgeschrieben hat. Man spricht von einer Band, die sich das friedliche Miteinander der verschiedenen Kulturen auf die Fahne geheftet hat und darüber hinaus in der Rolle eines musikalischen Botschafters, die heimische Musikszene auch europaweit in allen Ehren vertritt und aufzeigt, von welcher Lebendigkeit und welchen Reichtum diese ist. Slavko Ninić, der Gründer und Kopf der Band, im Interview mit Michael Ternai.

25 Jahre sind eine lange Zeit. Kannst du dich eigentlich noch genau an die Anfangstage der Tschuschenkapelle erinnern?

Slavko Ninić: Ich habe als Amateur im privaten Bereich mit Freunden eigentlich immer schon musiziert, zum Beispiel auf Feiern usw. Und wir haben eigentlich immer auch recht viel Beifall bekommen, fast schon so viel wie eine Profiband (lacht). Und diese wirklich positive Resonanz war dann schon die große Verlockung dahingehend, das Ganze auch hauptberuflich zu betreiben, was wir auch versucht haben, zu verwirklichen. Wir haben uns ein Programm zusammengeschustert und einige Auftritte gespielt, von denen einige wirklich sehr erfolgreich waren. Irgendwann ist dann auch der Name Tschuschenkapelle gefallen, womit dann quasi alles seinen Anfang genommen hat.

Wir haben jetzt nicht vorgehabt, wirklich berühmt zu werden, wir wollten nur schauen, ob wir davon leben können. In der Überzeugung, dass die Musik, die wir spielen, den meisten Menschen, die sie hören, gefällt, haben wir uns dann doch bestärkt darin gefühlt, die Band professionell zu betreiben. Wie man jetzt sieht, ist die Rechnung aufgegangen. Inzwischen haben uns ja wirklich schon sehr viele Menschen gehört (lacht).

Habt ihr euch damals eigentlich irgendwie vorstellen können, dass ihr irgendwann einmal eine so erfolgreiche Karriere haben werdet?

Slavko Ninić: Nein, überhaupt nicht. Es war auch für uns schon eine Überraschung, dass unsere Musik bei den Leuten so dermaßen gut ankommt. Ich habe schon vermutet, dass wir uns ganz gut schlagen werden, aber dass das Echo so positiv sein würde, nein, damit haben wir nicht gerechnet. Wir haben ja dann irgendwann einmal auch mit den Wiener Philharmonikern in der Staatsoper gespielt, das ist etwas, wovon man eigentlich nur träumen kann. Mittlerweile haben wir in den besten Sälen in Österreich gespielt und sind fast überall in der Welt herumgekommen.

Ihr zählt ja zu den Pionieren der heimischen Weltmusik. Inwieweit war euch damals bewusst, dass ihr da etwas ganz Eigenes macht?

Slavko Ninić: Also ehrlich gesagt, glaube ich nicht einmal, dass das, was wir machen, so eigen ist. Wir haben immer hauptsächlich die schönen alten Volkslieder gespielt, die wir eben ein wenig umarrangiert und mit unseren Fähigkeiten und Möglichkeiten bzw. unserem Instrumentarium wiedergegeben haben. Wir werden von manchen sogar als Puristen angesehen, weil wir im Grunde genommen so wenig wie möglich von dem Original abgehen wollen. Aber natürlich ist es so, dass man ein jedes Mal ein wenig abweicht. Auch wenn man versucht, ein Stück eins zu eins nachzuspielen, es verändert sich, es kommt eine andere Note, ein anderer Akzent hinein und jeder Musiker spielt die Sachen sowieso anders. Manches verändert man dann auch bewusst, weil man glaubt, dass man das Stück dadurch noch besser hinkriegt und und und... Irgendwann beginnt man dann, auf diese Art zu komponieren und eigene Sachen zu schreiben und vielleicht entsteht daraus ja letztlich ein eigener Stil.

Ich glaube, ein weiterer Grund, warum es für uns so gut gelaufen ist, war, dass wir uns nie kommerzialisiert haben. Wir haben schon sehr aufgepasst, dass wir nicht irgendeinem Hype aufsitzen. Wenn du unsere ersten CDs hernimmst, die unterscheiden sich jetzt nicht wesentlich von unseren letzten. Sie klingen jetzt vielleicht ein wenig professioneller, weil wir über die Jahre technisch doch ein bisserl dazugelernt haben. (lacht)

Deinem Eindruck nach, wie hat sich Wien, als du hierhergekommen bist, musikalisch dargestellt. Hast du dich dafür interessiert, was in dieser Stadt stattfindet?

Slavko Ninić: Ich war ja immer auch ein sehr klassisch interessierter Mensch und da war ich in Wien schon genau richtig. Sonst? Dieses ganze Worldmusic-Ding war zu diesem Zeitpunkt gerade erst im Begriff zu entstehen. Im Radio hat man damals kaum Musik aus Afrika oder aus den Balkanländern gehört. Nicht einmal solche aus Ungarn. Was man gehört hat, waren englische Schlager und ein wenig irisch-schottisch geprägter Folk. Aber sonst kaum etwas anderes, vielleicht noch ein wenig Flamenco und italienische Schnulzen. Im Grunde genommen wurde ausschließlich der Mainstream gespielt.

Durch das Aufkommen des Begriffs ‚Worldmusic‘ aber ist dann doch etwas in Bewegung geraten, die Musik hat langsam begonnen, sich auszubreiten. Es war plötzlich das Interesse der Leute für völlig neue Klänge da, für die Musik aus Afrika, Brasilien, Cuba. Man wollte wissen, was die Asiaten machen und was es mit dem Obertongesang der Mongolen auf sich hat usw. Kurz: Die vielen Geschichten, die in der Welt passiert sind, waren auf einmal auch hier sehr präsent. Und man kann schon sagen, dass auch wir ein Teil davon waren. Ich kann mich sehr gut an ein Interview von Alfred Hosp mit mir erinnern, in dem er mich gefragt hat, ob ich denn Worldmusic spiele. Ich konnte ihm keine Antwort geben, weil ich ganz einfach nicht gewusst habe, was er mit Worldmusic überhaupt meint. Wie gesagt, dieser Begriff war gerade erst im Entstehen.

Bevor es richtig losgegangen ist, scheint alles irgendwie gettoisiert gewesen zu sein. Die verschiedenen Ethnien, die hier in Wien gelebt haben, haben ihre Musik vorwiegend in ihren Kreisen, z.B. in den eigenen Clubs, gepflegt. Und plötzlich war es möglich, Konzerte von Musikern aus der ganzen Welt, aus Japan, Russland, der Türkei und anderswoher zu besuchen. Das hat die ganze Sache sehr spannend gemacht.

Überrascht es dich rückblickend, dass sich gerade Wien zu einem musikalischen Schmelztiegel entwickelt hat?

Slavko Ninić: Wien hat diesbezüglich ja eine Tradition. Die Stadt war immer schon ein Schmelztiegel. Hier ist es immer schon zu einer Verschmelzung der Kulturen gekommen und damit auch zum Aufeinandertreffen der verschiedenen musikalischen Einflüsse. Wien war die Hauptstadt der Habsburger-Monarchie und in dieser waren Kroaten, Ungarn, Tschechen und andere Völker immer zugegen. Sie haben alle ihre musikalischen Traditionen mitgebracht. So gesehen ist diese musikalische Vielfalt für Wien nicht so besonders neu, sie ist nur nun wieder einmal aufgeflammt.

Natürlich auch aufgrund des Zuzugs von Menschen aus aller Herrgotts-Länder. Ich war irgendwann einmal in der Lugner City und wie ich diese betreten habe, habe ich von weitem auch schon Musik gehört. Zuerst habe ich geglaubt, es handle sich um türkische Musik, doch es hat sich herausgestellt, dass dort eine Gruppe aus Indien gespielt hat. Es hat dort eine indische Veranstaltung gegeben und es waren viele hundert Inder dort, die miteinander gefeiert haben. So etwas war früher nicht möglich, weil vielleicht auch die Leute nicht da waren.

Ein weiterer Grund, warum diese Entwicklung eingesetzt hat, ist auch das politische Klima, das sich zum weltoffeneren hin gewandelt hat. Die Leute sind neugierig darauf geworden, was die anderen machen und wollten wissen, was es z. B. neben der alpenländischen Musik sonst noch gibt.

Wenn du auf eure Karriere blickst, hat es Momente gegeben, in denen du schon einmal auch den Hut draufhauen wolltest?

Slavko Ninić: Solche Momente gibt es immer wieder. Die Momente, in denen man sich fragt, was man eigentlich noch erreichen will. Wir haben in der Oper und im Musikverein gespielt, standen in Österreich fast schon in jedem Ort auf der Bühne und sind durch die Welt getourt. Mehr geht eigentlich nicht. Darüber hinaus wird man ja auch älter.

Nur ist es so, dass man dann immer wieder Sachen entdeckt, die man noch nicht gemacht hat. Neue Lieder etwa, die man noch nicht gespielt hat. Und man merkt, dass man immer noch gut ankommt, die Säle voll sind und die Leute deine Musik immer noch gerne hören und kaufen. Also, warum aufhören?

Du hast gerade die noch nicht entdeckten Lieder erwähnt. Gibt es auf dem Balkan, von woher die meisten eurer Lieder kommen, tatsächlich so vieles? Wann werdet ihr, glaubst du, das gesamte Liedgut ausgeschöpft haben?

Slavko Ninić: Es gibt tatsächlich sehr viele. Ich glaube, so viele, dass wir nochmal so viele CDs aufnehmen könnten, wie wir bisher veröffentlicht haben. Aber die Frage ist schon berechtigt. Daher verrate ich dir auch unser nächstes Projekt. Wir haben vor, auf unserer nächsten CD Musik ausschließlich aus Österreich spielen. Was für uns schon eine Herausforderung darstellt, weil wir diese stilistisch möglichst breit definieren wollen. Von der Musik der Monarchie, über die alpenländische, bis hin zum Wienerlied, zur Klassik und zur Musik der Minderheiten, all das soll in irgendeiner Form dabei sein. Mal sehen, ob wir das hinkriegen. Weißt du, ich glaube, wenn man schon so lange in Österreich lebt wie ich, dann ist man das diesem Land irgendwie schon auch schuldig.

Wie sieht es eigentlich in den Balkanländern aus. Welche Stellung hat die Tschuschenkapelle dort?

Slavko Ninić: Dort sind wir wenig bis überhaupt nicht bekannt. Wir haben schon die eine Tour dort gespielt, aber eine einzige Tour bringt nicht sehr viel. Ich muss auch dazu sagen, dass ich mich sehr wenig darum gekümmert habe, weil ich eben hier in Österreich lebe und nicht dort. Das Hemd ist in diesem Fall näher als der Rock. Ich wüsste auch gar nicht, ob es möglich wäre, die Leute dort kennen diese Lieder ja alle. Natürlich nicht in der Art, wie wir sie spielen. Ich glaube, für die Leute dort wären wir schon irgendwie Exoten. Wenn wir es in diesen Ländern werbungsmäßig vielleicht wirklich professionell angehen würden, ja, dann könnte es schon klappen, aber ehrlich gesagt, ich bin inzwischen für so etwas zu müde. Ich habe einfach keine Zeit, keine Lust und keine Motivation dafür. Also, warum sollte ich das tun? Da gehe ich lieber gemütlich auf ein Bier oder auf einen Kaffee.

Inwieweit verstehst du deine Band als eine Art Wiener Musikbotschafter? Und wie fühlst du dich in dieser Rolle?

Slavko Ninić: Ich fühle mich wohl in dieser Rolle. Dazu muss ich auch ein wenig ausholen. Wir waren gerade in Marokko, als die EU wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ Sanktionen gegen Österreich gesetzt hat. Du kannst dich sicher daran erinnern. Damals hat mich ein deutscher Reporter auf eine Art befragt, als würden in Österreich nur Faschisten herumlaufen und da musste ich ihn schon ein bisserl zurechtweisen. Ich habe ihm gesagt, dass das ein Blödsinn ist und dass das nicht stimmt. Das war schon ein wenig kurios, dass gerade wir als Tschuschenkapelle zur damaligen Zeit im Ausland für Österreich eine Lanze gebrochen haben.

Aber es ist generell so, dass Leute anderer Nationalitäten, wie etwa Kroaten und Serben immer irgendwie die Rolle von Botschaftern in ihren Ländern übernehmen und versuchen, Brücken zwischen den Menschen und Kulturen zu bauen. Das ist eine positive Sache, bei der ich auch gerne mitmache.

Die neue CD von euch ist ja eine Live-CD. Die wievielte CD ist das überhaupt? Ihr habt ja inzwischen unzählige veröffentlicht.

Slavko Ninić: Ich glaube die 12. oder 13. Sie ist insofern besonders, weil es sich bei fast allen Lieder um neue und bisher nicht veröffentlichte handelt. Bis auf zwei, war keine Nummer auf irgendeiner anderen CD vertreten. Unser Vertriebschef war auf jeden Fall auch verblüfft. Er hat mich gleich angerufen. Er meinte, dass das eigentlich unüblich sei und man auf Live-CDs normalerweise nur bereits bekannte Stücke zu hören bekommt.

Wie sieht es bei dir mit dem Feuer bei Konzerten aus. Lodert es noch genauso wie vor 25 Jahren?

Slavko Ninić: Oh ja, voll! Wir haben erst vor ein paar Tagen unser CD-Präsentations-Konzert gespielt. Wir sind von Acht bis halb Eins auf der Bühne gestanden und die Leute hatten danach immer noch nicht genug. Wir haben insgesamt mit 5 oder 6 Gästen drei große Sets mit Liedern aus Albanien, Griechenland, Bosnien, Österreich der Türkei usw. zum Besten gegeben. Es war wunderschön.

Zum Abschluss: Hat es in den letzten 25 Jahren der Tschuschenkapelle irgendwelche Ereignisse gegeben, auf die du besonders stolz bist. Was waren die Highlights?

Slavko Ninić: Stolz bin ich natürlich auf diese Staatsoper-Geschichte. Wir haben damals in der Millenniums-Nacht eben in dieser gespielt. Es war schon ein besonderes Gefühl an so einem Tag genau an so einem Ort zu spielen. Und das mit den Philharmonikern. Das Schönste ist aber, dass unsere Musik den Leuten wirklich taugt. Das sieht man an ihren Gesichtern, an deren schönem und wohlwollendem Lächeln. Es geht ihnen gut, wenn sie unsere Musik hören und sie gehen nach einem Konzert immer ein bisserl fröhlicher aus dem Saal. Wir haben in den Jahren eine Art Gemeinschaft zwischen der Bühne und dem Publikum hergestellt und auch eine Botschaft einer schönen Art weitergeben können. Das macht einen am glücklichsten.

 

 

 


 

 

 

momag.at, 17.04.2014

 

Mit feiner Klinge. Slavko Ninic von der Wiener Tschuschenkapelle im momag-Gespräch

 

Die Wiener Tschuschenkapelle ist als Aushängeschild für das „andere“, weltoffene Wien nun schon seit 25 Jahren aktiv. Gespielt werden neben Wiener Liedgut auch russische Volksweisen, albanische Tänze, kroatische Folklore und noch vieles mehr. Das momag traf Slavko Ninic in seiner Wiener Wohnung, um mit ihm bei türkischem Kaffee und selbstgebranntem Sliwowitz zu plaudern.

 

Von Petra Ortner

 

Die Tschuschenkapelle hat ja als Trio begonnen.

 

Angefangen haben wir 1989. Ziemlich bald kam der vierte Mann dazu, Metin Meto, ein türkischer Percussionist. Das war schon nach einem, höchstens zwei Jahren. Dann waren es bald vier, dann fünf, sechs, sieben, acht und dann ging es wieder zurück (lacht). Es war irgendwann nicht mehr finanzierbar mit so vielen Musikern. Obwohl es mir gefallen hat, weil da alle möglichen Instrumente in der Band waren.

 

Wie sind die Musiker zu dir gekommen?

 

Man kennt sich untereinander und redet. Dabei sind nicht nur musikalische Kriterien entscheidend, sondern alle möglichen Dinge. Auch das Menschliche. Also ob man mit dem reden kann oder ob es irgend so ein eitler Hund ist (lacht). Auch die Verlässlichkeit zählt. Es kommt auf vieles an.

 

Kulturelle Unterschiede sind egal?

 

Die sind sekundär. Die sind nicht präsent. Man schaut, dass der Mitmusiker die Musik versteht und deswegen ist es naheliegend, dass das einer von hier ist. Also zum Beispiel passt zu uns kein Indonesier oder Afrikaner sondern jemand vom Balkan, oder auch Österreicher. Denn da ist man irgendwie zuhause. Aber ich habe keine Vorurteile diesbezüglich. Es ist egal von wo jemand ist.

 

Nach welchen Kriterien entsteht das Programm?

 

Vor allem nach künstlerischen. Ein Lied muss eine Botschaft haben, irgendwas Schönes muss darin sein. Wir haben dahin gearbeitet, uns nicht zu kommerzialisieren. Wir wollten immer unseren Weg gehen. Das war entscheidend. Es gibt moderne Sachen, wo man weiß, dass das den Leuten gefallen wird. Das zu spielen – da verliert man ein wenig den Charakter und das Gesicht und das ist nicht gut. Es hat sich herausgestellt, dass es ein längerer Weg ist, wie wir es machen, aber er ist auch beständiger.

 

Im Vergleich zu den meiner Meinung nach lebendigen Balkan-Volksliedern erscheint mir die österreichische Volksmusik eher jammernd. Oder täusch ich mich da?

 

Es gibt hier und dort melancholische Sachen, wie auch sehr fetzige und lustige. Ich weiß nicht, warum du das so empfindest? Ich kenne viele lustige österreichische Lieder, wir haben sogar welche im Programm. Nicht nur „Wenn ich einmal sterbe“. Es ist vielleicht typisch für Wien, dass man mehr jammert (lacht). Aber sonst in Österreich, in Tirol zum Beispiel, da gibt es gute, fetzige Lieder. Andererseits gibt es das bosnische Sevdalinka, das ist eine einzige Jammerei (lacht)! Dann gibt es aber auch die Kolos, die sind fetzig, die kommen aus Slawonien, wo ich herkomme. Da ist die Musik auch sehr lustig.

 

In der Balkan-Musik gibt es mehr Geigen, Klarinetten und so.

 

Die Balkan Musik, die sich hier im Westen durchgesetzt hat, mit diesen Brass-Orchestern, die ist eher zum Tanzen und so. Aber das ist natürlich nicht das einzige, das es am Balkan gibt. Es gibt ja viele andere Stilrichtungen. Vor allem, wie schon erwähnt, dieses Sevdalinka. In Dalmatien gibt es diesen A-Cappella-Gesang, der meistens sehr melancholisch und andächtig ist.

 

Wie wichtig ist bei der Tschuschenkapelle das politische Statement?

 

Sehr wichtig. Allerdings darf man das nicht mit der Keule „präsentieren“, sonst ist man kontraproduktiv. Das muss mit feiner Klinge kommen. Zwischen den Zeilen. Dann, glaube ich, hat das ganze mehr Effekt als mit dem Zeigefinger.

 

Hat sich da in den 25 Jahren des Bestehens vieles verändert?

 

Nein. Wir sind ein wenig älter geworden. Haben ein wenig was gelernt, technisch, mit den Instrumenten umzugehen und ich hoffe, dass wir nicht recht schiach sind (lacht). Aber die Stilrichtung ist beibehalten worden, die Folklore zu pflegen und einen Schritt weiter zu gehen in der Entwicklung des gleichen Materials. Wir sind da immer sehr vorsichtig und schauen, dass wir nicht reindreschen, da kann man viel kaputt machen. Denn das sind altbewährte, gute Sachen. Es ist kein Zufall, dass sich das Liedgut über Generationen gehalten hat. Das ist ein Beweis, dass es gut ist, dass es eine Botschaft hat und dass es einen künstlerischen Wert hat. Wenn man da jetzt daherkommt und sagt: „Ich modernisiere das jetzt“, das ist nicht so einfach, und auch nicht so gut. Da kann man viel ruinieren.

 

Die Wiener Tschuschenkapelle ist bei den „gipfelklaengen 2014“ dabei und ihr feiert ja auch euer 25-jähriges Jubiläum. Gibt es da ein Spezialprogramm?

 

Wir haben gerade eine neue CD herausgebracht, die wir voriges Jahr beim Donauinselfest live aufgenommen haben. Davon werden wir natürlich viele Sachen spielen, weil da viel neues Material dabei ist. Das ist auch unsere Jubiläums-CD. Und dann schaue ich natürlich, welche Leute da sind. Ich mache mein Programm immer fünf Minuten vorher (lacht). Das passiert je nach Stimmung. Also je nach Umgebung und ob man unplugged spielt oder über eine Anlage und wie viele Leute da sind.

 

Das ist eine Live-CD.

 

Ja. Überraschende dabei ist, dass 90 Prozent neue Sachen sind. Das ist nicht so üblich, dass man neue Sachen gleich mal live aufnimmt. Da haben wir einen Präzedenzfall geschaffen, da waren wir schon mutig.

 

Bei den „gipfelklaengen“ wird ja Wandern mit Kulinarik und Musik verbunden. Werdet ihr ein wenig mitwandern?

 

Wenn es die Möglichkeit gibt, wahrscheinlich schon. Zwei Leute von uns laufen fast täglich. Das ist deren Hobby. Die werden sich sehr freuen, wenn sie da draußen aktiv sein können. Ich bin auch gerne in der Natur und im Wald und wenn wir Zeit haben, werden wir das sicher nutzen.

 


 

 

 

derStandard.at, 4.12.2009

 

Tschuschenkapelle-Gründer Slavko Ninić über 20 Jahre Folklore, Sehnsucht nach Asphalt und "Tschuschen" in der Politik

 

Als der "Tschusch" noch ein Schimpfwort war, nannten sie sich "Wiener Tschuschenkapelle". Das war vor zwanzig Jahren. Rund 1200 Konzerte später sei Volksmusik noch immer toll, Österreich ein bisschen weniger rassistisch und die Kapelle endlich auch bei "Tschuschen" beliebt, sagt Gründer, Sänger und Gitarrist Slavko Ninić im Gespräch mit Maria Sterkl. Auf dem FPÖ-Parteitag würde er nicht spielen, sagt Ninić - glaubt aber auch nicht, dass er eingeladen wäre.

 

Von Maria Sterkl

 

derStandard.at: Herr Ninić, stimmt es, dass die Tschuschenkapelle in Arbeitspausen entstanden ist?

 

Ninić: Ja. Wir haben in einer Beratungsstelle für ausländische Arbeitnehmer gearbeitet - ein Türke, ein Kroate - also ich - und ein Österreicher. In den Pausen haben wir musiziert. So ist das entstanden.

 

derStandard.at: Warum nannten Sie sich Tschuschenkapelle?

 

Ninić: Wir hatten die Band, aber keinen Namen dazu. Also haben wir herumg'scheitelt, und da hat im Wirtshaus irgendwer gemeint: "Nennt's euch Tschuschenband, weil Tschuschen seid's eh".

 

derStandard.at: Damals war das eine Provokation. Mittlerweile hatte sogar der ORF eine Serie namens "Tschuschenpower" im Programm.

 

Ninić: Ja, das Wort ist irgendwie salonfähig geworden. Kann sein, dass wir da auch dazu beigetragen haben.

 

derStandard.at: War es für Sie damals schwer, sich in Wien niederzulassen?

 

Ninić: Nein. 1972, als ich hierher gekommen bin, hat man alle Aufenthaltstitel in zwei Stunden bekommen. Die wurden einem fast nachgeworfen.

 

derStandard.at: Warum wollten Sie gerade nach Wien?

 

Ninić: Das war reiner Zufall. Es hätte auch Paris oder Frankfurt oder Stockholm werden können. Mir war es nach der Matura einfach zu blöd zuhause, ich wollte weg. Reines Abenteurertum, "gemma in die Welt" und so.

 

derStandard.at: Gab es Bilder über Wien, die Sie nach einiger Zeit korrigieren mussten?

 

Ninić: Ein Freund hat einmal gesagt: "Weißt du, Slavko, irgendwie ist hier nicht alles so beleuchtet, wie ich mir das vorgestellt habe". Da hab ich lachen müssen. Wir wohnten beide im 17. Bezirk, mit diesen dunklen Gassen und Nebengassen. Und man hatte ja Vorstellungen von Wien wie von New York, mit Boulevards, Tag bei Nacht und so weiter. Wir haben uns als Bauernburschen nach Asphalt gesehnt, und dann kamen wir nach Wien, in den Siebzigerjahren, und da war so viel Asphalt und Beton, mein Gott, war das schön. Unvorstellbar heute, oder?

 

derStandard.at: Viele meinen, die heutigen "Integrationsprobleme" hätten in dieser Zeit ihre Wurzeln.

 

Ninić: Das ist richtig. Man hat sich ja damals darauf beschränkt, den Leuten Arbeit und irgendeine Schlafstätte zu geben. Und man hat vergessen, dass sie auch andere menschliche Bedürfnisse haben - nach Kultur, nach Unterhaltung, nach Religionsausübung, Familiengründung. Warum hat man ihnen nicht damals schon Deutschkurse angeboten? Warum hat man nicht geholfen, das Land kennen zu lernen? Das hätte man in Betrieben organisieren können. Nichts hat man getan. Die waren nur als Arbeitsviecher da und man hat geglaubt, wenn die Konjunktur schwächer wird, kann man sie wieder nach Hause schicken.

 

derStandard.at: Die jetzige Innenministerin will ja, dass nur noch jene ins Land kommen dürfen, die schon vorher einen Deutschtest gemacht haben.

 

Ninić: Die Innenministerin will, dass gar niemand mehr ins Land kommt - außer Sängerknaben-Bewunderer.

 

derStandard.at: Hat sich der Umgang mit Zugewanderten in den letzten 20 Jahren verändert?

 

Ninić: Es ist immer eine Wellenbewegung. Wenn die Wirtschaft gut läuft und es genügend Arbeitsplätze gibt, dann sind die Wogen kleiner. Und beim kleinsten Anzeichen einer gesellschaftlichen Krise wird der Ruf gegen Ausländer lauter. Die Ausländer haben eine gewisse Pufferrolle in der Gesellschaft, und es gibt in Österreich politische Kräfte, die genau darauf ihre Strategien aufbauen.

 

derStandard.at: Würden Sie auf einem FPÖ-Parteitag spielen?

 

Ninić: Gestern hat mir ein Freund vorgeschlagen, dass wir gezielt für das FPÖ-Wahlvolk spielen sollten: Die Leute glauben ja vielleicht, wir haben Hörner am Kopf oder so. Sie fahren ja nach Kroatien und in die Türkei ans Meer und wenn sie zurück sind, glauben sie trotzdem was weiß ich was von uns. Aber eigentlich wüsste ich nicht, aus welchen Gründen ich bei Strache spielen sollte, außer aus finanziellen, und diese finanziellen Gründe interessieren mich auch nicht. Abgesehen davon glaube ich gar nicht, dass so ein Auftrag käme.

 

derStandard.at: Haben Sie jemals als Tschuschenkapelle rassistische Anfeindungen erfahren?

 

Ninić: Nein, nicht ein einziges Mal hat es bei Konzerten einen Eklat gegeben. Vielleicht liegt das auch an unserer Musik. Leute zu stören, die Gaudi haben und tanzen - da würde man sich vielleicht selber als Trottel vorkommen.

 

derStandard.at: Glauben Sie, dass die Gesellschaft heute rassistischer ist?

 

Ninić: Nein, überhaupt nicht. Die Auseinandersetzung mit Faschismus hat in Österreich ja extrem spät angefangen, mit der Kandidatur Kurt Waldheims. Das sind Dinge, die schlummern tief in den Köpfen der Menschen. Ich glaube, dass es eher weniger geworden ist, durch die globalisierte Welt, die Ostöffnung. Es gibt viel mehr Kontakte, persönliche Reisen und so weiter.

 

derStandard.at: Warum kann Strache dann mit Sprüchen wie "Daham statt Islam" punkten?

 

Ninić: Solche Sprüche hat es immer gegeben in Österreich. Die Altnazis in der FPÖ, die SS-Kameradschaft, der Briefbombenterror, Jörg Haiders Warnung vor der "Umvolkung" - das ist nichts Neues.

 

derStandard.at: Sollte sich die SPÖ vor den Blauen fürchten?

 

Ninić: Es ist nie schlecht, wenn man sich ein bisserl fürchtet. Dann wird man vielleicht aktiver. Ich finde ja nach wie vor, dass Österreich gut dasteht. Bei uns gibt es keine Türkenghettos wie in Berlin. Aber die staatlichen Stellen haben etwas nachzuholen. Es gibt viele Tschuschen im Sport und in der Wirtschaft, aber wenige in der Politik. Es gibt kaum einen Sektionschef, der Djamilovic oder Kurtoğlu heißt. Ich glaube nicht, dass die Leute weniger qualifiziert wären, aber durch ihren fremden Namen sind sie irgendwie suspekt und werden diskriminiert. derStandard.at:

 

Wie viele "Tschuschen" hören die Tschuschenkapelle?

 

Ninić: Immer noch viel zu wenige, aber immer mehr. Grundsätzlich gehen Arbeiter ja sehr wenig ins Konzert. Wenn sie wohin gehen, dann ins Stadion oder zu Leuten, die bekannt sind aus Funk und Fernsehen. Bei den Gastarbeitern ist das noch extremer. Aber nun gibt es eine neue Population von Ausländern, eine intellektuellere Schicht. Die intellektuellen Gastarbeiter haben uns gleich ins Herz geschlossen. Und nachdem wir immer öfter ins Fernsehen kommen, sind wir mittlerweile auch bei den normalen Tschuschen recht bekannt.

 

derStandard.at: Stört es Sie manchmal, dass Sie seit zwanzig Jahren im Folklore-Eck sitzen?

 

Ninić: Im Gegenteil! Ich liebe Volksmusik und stehe dazu. Wir pflegen sie und versuchen sie ein bisschen weiter zu entwickeln.

 

derStandard.at: Wie stehen Sie zum Turbofolk?

 

Ninić: Man soll ja keine Musikrichtung verteufeln. Aber im Großen und Ganzen ist es Kitschmusik, kommerziell kaputt gemachte Volksmusik, viel Geschrei um nichts, falsch und verlogen. Ähnlich wie die alpenländische volkstümliche Musik.

 

derStandard.at: Sie sind in Slawonien aufgewachsen. Haben Sie dort je ein Konzert gespielt?

 

Ninić: Nein. Aber voriges Jahr waren wir zum ersten Mal in unseren ehemaligen Heimatländern auf Tournee - in Kroatien, Serbien, Montenegro, Bosnien, Albanien.

 

derStandard.at: Warum nicht schon früher?

 

Ninić: Ganz einfach: Weil uns niemand eingeladen hat. Man kann ja nicht selber hingehen und einfach so auf der Straße spielen. Und Propheten im eigenen Land haben es immer am schwierigsten (lacht). -Nein, unser Land ist ja Österreich. Wenn wir in Brasilien spielen, sind wir nicht irgendeine serbische oder rumänische Band, sondern österreichische Botschafter.

 

 


 

Augustin. Die erste österreichische Boulevardzeitung. Wien, April 2005

 

 

 

"Warum sollte man die schönen Lieder des Balkan mit US-Jazz mischen?" Musik ist, was Herz flattern lässt

 

Slavko Ninic, die Wiener Stimme des Balkans, bekannt durch seine Gründungen "Wiener Tschuschenkapelle" und "Tschuschen a capella", liebt - falls ihm die Zeit bleibt - Seitensprünge in andere musikalische Kontexte. Am 30. April widmet er sich, zusammen mit Überraschungsgästen, im Porgy & Bess dem traditionellen bosnischen Liedgut. Ein schöner Anlass, um ihn mit seinem Ruf, er verabscheue modernistische Experimente mit der gewachsenen Musik der Balkanregion, zu konfrontieren.

 

Von Robert Sommer

 

 

 

Einerseits ist die Wiener "Weltmusikszene" ohne die seit 15 Jahren praktizierende "Tschuschenkapelle" kaum vorstellbar, andererseits wirst du von vielen Freunden der Innovation und der Improvisation innerhalb dieser Szene als Purist, als Bewahrer der Traditionen belächelt.

 

Es geht nicht darum, dass man so singt, wie man vor fünfzig Jahren gesungen hat. Natürlich kannst du das Ausgangsmaterial verjazzen, oder du kannst neue Musik daraus machen - es kommt darauf an, dass es Musik bleibt. Wenn du musikalisch schlecht bist, ist es egal, ob du traditionell bleibst, Jazz machst, Klassik oder neue Musik. Musik ist, wenn das Herz flattert. Und wenn sich eine Träne im Auge meldet. Wenn aber das Publikum einem Haufen von Steinen gleicht, und niemand fühlt sich bewegt, ist es doch egal, ob dieses Rührungsdefizit vom Jazz oder von der Volksmusik kommt. Mir geht es darum: Bei uns in Balkanien gibt es schöne Lieder. Sie sind melodisch schön, textlich schön - und sie werden auf eine Weise interpretiert, in der ein historischer Entwicklungsprozess eingeschrieben steht. Natürlich kannst du Sevdalinke (traditionelle bosnische Liebeslieder - R.S,) auch verjazzen, aber die Gefühle, die diese Gattung von Liedern in sich bergen, müssen rauskommen. Wenn sie nicht rauskommen, ist das Resultat misslungen. Wer aus dem Sevdalinke-Material Ethnojazz macht, muss das Potential der Sevdalinke in die neue Form hinüberretten. Wenn das nicht geschieht, ist das Lied unter deinen Händen gestorben.

 

Ein puristischer Wienerlied-Traditionalist könnte die Behauptung aufstellen, dass die "Reblaus" unter deinen Händen stirbt.

 

Wenn die "Tschuschenkapelle" oder die "Tschuschen a capella" ein Wienerlied singt, macht sie das nicht deshalb, weil sie den Anspruch hat, das Wienerlied weiter zu entwickeln. Der Grund ist simpel: Wir lieben die Rebe mehr als die Reblaus. Und wir haben hundertmal die Erfahrung gemacht, dass es für das Publikum lustig ist, wenn ich das Lied mit meinem komischen Akzent singe. Es hat wohl seinen eigenen Charme, wenn ich nicht jedes A und O so treffe, wie es der Wiener Dialekt verlangt. Selbstverständlich ist das keine Richtung, in die sich das Wienerlied entwickeln muss, das ist ebenso wenig unser Anspruch wie die Parodie des Wienerlieds. Nichts gegen Parodie, aber die muss in sich selbst ihre Berechtigung haben. Unser Zugang ist: wir haben einen Spaß und die Leute haben einen Spaß. Das ist alles.

 

Es geht um das Verfremden. Es macht dir Spaß, das Wienerlied zu verfremden, in deinem Fall über die Sprache. Den Balkanjazzern macht es Spaß, traditionelle Musik zu verfremden mittels anderer Musiksprache.

 

Wir machen doch nur einen Seitensprung ins Wienerische. Unsere Hauptaufgabe bleibt das Balkanische. Ich zweifle nicht daran, dass Balkanjazzer mit Leib und Seele mit den Liedern aus ihrer Kultur umgehen. Wenn sie das tun, ist es legitim. Die deklamatorischen Begleiterscheinungen, die Anpassungsfähigkeit der Musiker an die Rhetorik der Worldmusicindustry - das allein macht aus den neuen Ethnoexperimentierern noch keine wirklichen Avantgardisten oder Weiterentwickler.

 

Immer mehr Menschen interessiert an den Kulturen vor allem deren Bastardisierung, sie finden die Vermischungen am schönsten; es gibt in der fiktiven Augartenstadt einen Stadtrat, der den Spruch "je reinrassiger, desto blöder" zum Regierungsprogramm erklärt hat. Auf das Feld der Musik übertragen...

 

Eine Mischung von Esel und Pferd führt in eine Sackgasse, wie man weiß. Pflanzt sich nicht fort. Von mir aus soll der Bastard leben. Natürlich muss man Musik nicht als etwas Statisches betrachten. Sie wird immer von außen beeinflusst. Nichts steht ein für allemal fertig und abgeschlossen da. Alles ist erlaubt. Alle Mischungen, alle Beeinflussungen. Aber das Produkt muss schließlich in sich stimmen. Es muss Gänsehaut hervorrufen oder das Herz flattern lassen. Es muss ja nicht unbedingt amerikanischer Einfluss sein. Die Verbreitung des amerikanischen Mainstreams in der ganzen Welt hat mehr mit Kulturimperialismus als mit transkulturellen Experimenten zu tun. Mit welcher Begründung soll man nordamerikanischen Jazz in die Balkanmusik fließen lassen?

 

Zum Beispiel darum, weil das daraus entstehende Produkt die Hände von tausend Menschen in die Höhe treibt.

 

Die Kulturindustrie formt den Massengeschmack. Die Popmusik in Indonesien hört sich deshalb heute nicht mehr viel anders an als die Popmusik in Griechenland oder in Brasilien. Die Vielfalt wird zur Strecke gebracht.

 

Aber gerade die Kritik an der Amerikanisierung treibt viele Musiker, die vom Jazz her kommen, nämlich von der amerikanischen Standard-Art des Jazz, zurück zu ihren Wurzeln. Und das Resultat ist eben - wenn diese Musiker z.B. aus dem jugoslawischen Raum kommen - Balkanjazz. Sie drängen das Amerikanische, das Globalistische, eben zurück in ihrer Musik. Nenad Vasilic hat das in einem Augustin-Gespräch so erklärt. Nach den Abwerfen der amerikanischen Bomben auf seine Stadt, sagte er, habe er sich nicht mehr vorstellen können, bei den amerikanischen Jazzstandards zu bleiben, mit denen er sich bisher identifizierte. Balkanjazz hieß für ihn: Loslösung von der Amerikanisierung.

 

Das ist legitim. Aber ich komme von der Volksmusik und brauche den Jazz überhaupt nicht. Jazz wäre eine künstliche Beigabe. Für einen aber, der vom Jazz kommt, ist es sicher eine Bereicherung, wenn er seine Wurzeln entdeckt, wenn er sein Musikschaffen dann für Harmoniefolgen öffnet, die ganz anders sind als beim westlichen Mainstream-Jazz. Noch einmal: Nicht der Vorsatz, den einer sich an die Stirn heftet, ist entscheidend. Entscheidend ist, ist ob das künstlerische Resultat dem schon Bestehenden gewachsen ist, oder ob es hinter dem Gewachsenen, Bestehenden zurück bleibt.

 

Ob es sich um weltmusikalische Improvisationen, um imaginäre Folklore handelt, wie dieses Genre anderswo bezeichnet wird, also um Mischungen, denen du skeptisch gegenüber stehst, oder um authentische Musik, wie du sie pflegst - beide tragen zum Balkanboom bei, und beide Stilrichtungen profitieren gleichermaßen von dieser Modewelle. Das günstige Klima, das deiner Art zu singen hohe Akzeptanz bringt, wird heute auch stabilisiert durch Bands, denen du möglicherweise Missachtung der Traditionen vorwirfst.

 

Der Boom wird vergehen wie jeder Boom, das sagt ja schon der Begriff. Die Zeit wird die Spreu vom Weizen trennen. Aber greifen wir nicht vor. Ich bin froh, dass so viele Leute Balkanmusik hören, obwohl ich nicht weiß, ob sie das tun, weil es modisch ist. Der Boom ist wohl durch die Filme Kusturicas entstanden. Oder durch den Krieg, der einerseits unsere Regionen interessant gemacht hat, andererseits viele Musiker in den Westen getrieben hat. Wir werden abwarten und schauen, welche Balkangruppen noch spielen werden, wenn es in fünf Jahren einen Spanienboom gibt, welche Platte dann von den Menschen noch gehört wird, die in den Jahren des Balkanbooms gekauft wurde.

 

Ich denke, du glaubst die Antwort auf diese Frage zu wissen: die Tschuschenkapelle wird übrig bleiben, weil sie auch schon vor 15 Jahren gehört wurde, als es noch keinen Balkanboom gab.

 

Wärst du zufrieden mit einer Antwort wie: Die Tschuschenkapelle wird alle Kriege überleben?

 

Welche Verbindungen bestehen zum so genannten jugoslawischen Ghetto in Wien?

 

Die Tschuschenkapelle hat da einen guten Ruf. Bei uns verdient man als Musiker eben bei wenigen Auftritten oft so viel wie in einem ganzen Monat auf der Bühne eines Jugo-Lokals, und man gilt als angesehener Mann, auf den die ORF-Kameras gerichtet sind. Andererseits gibt es genau deswegen auch Gefühle des Neids. Wir spielen gerne auf rein (ex-)jugoslawischen Festen. Die Leute tanzen, sind ausgelassener als das Wiener Multikultipublikum. Es gibt einen Typus von Jugo-Lokalen, der mir aber sehr suspekt ist. Viele dieser Lokale bieten Live-Musik, um Sentimentalitäten zu befriedigen, die Sehnsucht nach der Heimat oder nach einer verflossenen Liebe, und legitimieren damit ihre überteuerten Getränkepreise. Schau dir einmal die entsprechenden Lokale am Gürtel an. Dass sie kaum noch Besucher haben, ist keine Tragödie.

 

Was bedeutet dein Hut? Ist diese Performance das Zeichen für deinen Traditionalismus?

 

Hut ist gut, wenn stehen tut. Wo ich herkomme, in Slawonien, gibt es viele Bauern, die solche Hüte tragen, wenn sie in die Kirche gehen, und manchmal auch in die Arbeit. Die sind aber speckiger als meiner, und auch ein wenig kleiner. In der ersten Tschuschenkapelle-Generation haben wir alle Hüte getragen, sogar die Frauen, und das hatte schon etwas zu tun mit dieser Tradition im Balkanraum. Wir trugen den Hut aus romantischen Motiven. Im Laufe der Entwicklung unserer Kapelle bin ich als einziger Hutträger übrig geblieben. Ich wollte mich schon ebenfalls von ihm verabschieden, doch meine Band war dagegen. Ich trage den Hut also auf Zuruf hin.

 

Es gibt das Gerücht, dass du den anderen verboten hast, Hüte zu tragen, um deine führende Position hervorzukehren.

 

Das Gerücht ist falsch. Jeder kann einen Hut kaufen. Du könntest sogar mit deiner Mütze bei uns spielen, wenn du musikalisch zu gebrauchen wärst.

 

Verlangst du von den Mitgliedern der Kapelle neben musikalischer Qualität auch eine bestimmte Art zu denken, die Welt anzuschauen?

 

Erstens: In der Tschuschenkapelle wird kein Mazedonier spielen, für den Mazedonien über alles steht, oder kein Kroate, für den Kroatien über alles steht. Nationalisten sprechen wir nicht an. Wir werden uns immer unterscheiden von jenen nationalistischen Bands, die nur aus Kroaten oder ausschließlich aus Serben bestehen. Zweitens: Wir spielen lieber die Musik, die die Gastarbeiter lieben, als jene, an der sich die Upper Class ergötzt. Drittens: Die Mitglieder der Band sind bereit, manchmal auch ohne Honorar zu spielen, wenn dadurch soziale Projekte unterstützt werden. Viertens: Wir treten für die Gleichberechtigung der Migrantinnen und Migranten, die hier leben, ein. Wir sind aber eine Band, die für diese Intentionen nicht den Zeigefinger einsetzt, sondern eher den Wiener Schmäh.

 

Du hast Soziologie studiert. Wärst du heute nicht Musiker, sondern Soziologe - was würde dein wissenschaftliches Interesse erregen?

 

Ich würde erforschen, warum es zu einem Krieg kommt. Der Krieg am Balkan hat mir sehr viele schlaflose Nächte beschert. Ich hätte nie geglaubt, dass es zu einer derartigen Eskalation kommen könnte. Ich hielt Jugoslawien für ausreichend konsolidiert, nahm eine gegenseitige Gelassenheit unter den Ethnien wahr. Der Ausbruch des Hasses in den 90er Jahren hat mich völlig überrascht. Andererseits hab ich mich an meine Diplomarbeit über das "soziale Wesen des Faschismus" erinnert, in der die Manipulierbarkeit der Menschen das Thema war. Offensichtlich haben sich die Menschen nicht geändert. Die Medien können sie bis zu jenem Punkt bringen, an dem sie mit dem Selbstdenken aufhören. Dieses sozialpsychologische Phänomen, das nicht losgelöst von der ökonomischen Lage betrachtet werden kann, interessiert mich. Warum nimmt man vom Nachbarn, mit dem man zwanzig Jahre lang gemeinsam Feste gefeiert hat, plötzlich an, dass er einem den Schädel einschlagen will, nur weil er in die andere Kirche geht?

 

 

 


 

Büchergilde, 2005

 

Interview zur Erscheinung der „Best of“ - CD der Wiener Tschuschenkapelle

 

Von Jürgen Sander

 


Lieber Herr Ninic, bei der Büchergilde erscheint nun Ihre neueste CD Best of Wiener Tschuschenkapelle. Sie sind sicher schon oft gefragt worden, aber dennoch: Was bedeutet „Tschuschen“?

 

Tschusch ist ein Schimpfwort und bezieht sich in der Regel auf einen Südosteuropäer (Kroaten, Serben, Bosnier, Bulgaren, Rumänen, usw.). Ein Tschusch ist faul, schmutzig, unehrlich und unerwünscht, höchstens geeignet für irgendwelche niedrigere Arbeit. Seit der Gründung und dem Erfolg der Wiener Tschuschenkapelle haben die populistischen Politiker in Österreich ihre liebe Not mit dem Ausdruck, denn inzwischen ist die Band bekannter als dieses ursprünglich böse Wort. Ich glaube, daß es aus dem Russischen kommt, es heißt dort fremd, minderwertig.

 

Der Untertitel lautet Wien-Rennweg, Balkan. „Der Balkan beginnt in Wien, am Rennweg“, soll Fürst Metternich mal gesagt haben. Können Sie Nicht-Wienern erklären, was der Rennweg ist?

 

Der Rennweg ist eine Straße in Wien, die eben in den Südosten führt. Allerdings ist die Gegend auch als „Botschaftsviertel“ bekannt und schließlich liegt auch das berühmte Wiener Prachtschloß Belvedere am Rennweg. Jetzt kann man es sich natürlich aussuchen, was der Fürst Metternich mit dem Spruch gemeint haben mag, vielleicht war er nur über einen Botschafter (den französischen ?) verärgert.

 

Sie spielen Stücke aus den unterschiedlichsten Regionen, ob das Kroatien, Bosnien, Albanien, Rumänien, Griechenland, Polen oder Ungarn ist. Wie finden Sie die Stücke, oder bringen Ihre Musiker, die ja ebenfalls aus den unterschiedlichsten Regionen kommen, diese Stücke mit?

 

Mit dieser Musik bin ich und auch die meisten Musiker in der Tschuschenkapelle groß geworden. Die hat man im Radio gehört, Eltern und Großeltern haben die Lieder gesummt, bei Geburtstagsfeiern und Hochzeiten hat man kaum „westliche“ Musik gespielt und jetzt ist es auch noch so – wenn die Fete richtig losgehen soll, werden die alten Lieder hervorgeholt, mit denen identifiziert man sich, die drücken aus, was einen bewegt, Liebe, Eifersucht, Traurigkeit und Wehmut, Ausgelassenheit und Melancholie, je nachdem wie lang der Abend ist. Also kennt man das, oft wissen die Leute nicht, daß etwas ursprünglich ungarisch oder rumänisch ist, es gibt Übersetzungen und natürlich haben wir das in der Band bewußt erweitert und diese Vielfalt zum Programm erhoben. Vor 17 Jahren waren wir einsam auf weiter Flur und eine Art Vorreiter, jetzt in der Zeit der worldmusic gibt es viele Musikgruppen, die einen ähnlichen Weg einschlagen, übrigens mit gutem Erfolg.

 

Seit den Filmen von Kusturica ist diese Art von Musik zumindest in Deutschland sehr populär geworden. Wie erklären Sie sich das?

 

Vielleicht werden damit Stimmungen assoziiert, eine gewisse Ausgelassenheit und das Feeling „ist doch eh`alles wurscht“, eine Art orientalen Fatalismus. Es spielen auch Bilder eine Rolle, schließlich ist Kusturica Filmemacher, zwanzig, ja dreißig Bläser, die da einem das Leid wegblasen, dabei sind diese Bläser zu 99% Zigeuner, deren Blaskapellen immer ein Geheimtipp waren und auf relativ kleine geographische Regionen beschränkt. Goran Bregovic, übrigens der größte balkanische Hochstapler, hat sehr viel Geld damit verdient, indem er die Leute hat spielen lassen und dann mit made by Bregovic gezeichnet. Andererseits befinden wir uns tatsächlich in einem Worldmusic-Zeitalter, die Menschen sind sensibilisiert für das originelle, ursprüngliche und fallen nicht mehr so leicht auf den Mainstream aus den sogenannten Unterhaltungsfabriken herein.

 

Auf der CD sind auch einige Wiener Lieder. Warum haben Sie diese Stücke in Ihr Programm aufgenommen. Auf den ersten Blick ist das ja ein anderer Musikstil?

 

Das Wienerlied war schon immer slawisch, ungarisch angehaucht. Angeblich ist das Wienerlied das einzige deutschsprachige Volkslied, in dem Molltonarten vorkommen. Das paßt sehr gut zu dieser Stadt, die ja ein Schmelztiegel der Nationen ist. Wir Tschuschen leben in Wien und wollen nicht mit geschlossenen Augen in die Ferne blicken, das Wienerlied mit seiner Raunzerei, Selbstironie und Todessehnsucht ist uns näher als wir wahrhaben wollen. Wir bringen eine zusätzliche, tschuschische Note hinein. Das Ganze ist auch ein Ausdruck unserer Liebe zu dieser Stadt, außerdem ärgern wir mit unserem Wienerliedengagement einige nationale Recken, die das Wienerlied als Spielwiese ihrer weinseligen Deutschtümelei sehen.

 

Sie haben mit den Wiener Philharmonikern in der Wiener Oper gespielt. Wie kam das zustande und wie haben sich die beiden musikalischen Welten miteinander vertragen?

 

Die Deutsche Gramophon-Gesellschaft wollte mit den Wiener Philharmonikern die Oper „Lustige Witwe“ für eine CD aufnehmen. In der Originalpartitur von Franz Lehar kommt im zweiten Akt eine Tamburizzakapelle vor, die bei einem „postvedrinischen“ Fest aufspielt und der Dirigent Sir John Eliot Gardiner dürfte kurz vor den Aufnahmen mit Entsetzen festgestellt haben, daß keine Tamburizzakapelle von der Regie vorgesehen war. Dann sind die Telefone in Wien heißgelaufen, und irgendwer dürfte zugeflüstert haben, das könne nur die Tschuschenkapelle machen und sonst niemand, weil von den Tamburizzamusikanten sind die die einzigen, die Noten lesen können! So ist man bei uns gelandet, und obwohl wir keine Tamburizzaspezialisten waren, haben wir die Partitur tatsächlich in einer Nacht durchstudiert und am nächsten Tag beim Vorspielen einen großen Applaus von den Philhamonikernkollegen bekommen, so war die Sache „gekauft“. Dabei war es gar nicht so schwer. Wir haben dann später viele Male live in der Wiener Staatsoper, wo die Oper aufgeführt wurde, mitgespielt, sogar in der Milleniums-Silvesternacht. Die Philharmoniker haben uns wohlwollend unterstützt, wir durften einmal sogar auf dem Philharmonikerball aufspielen.

 

Musik ist, wenn das Herz flattert“, sagten Sie in einem Interview. Offenbar funktioniert das besonders gut bei der Musik, die Sie spielen. Flattert auch bei Ihnen und Ihren Musikern noch das Herz?

 

Ich erwische mich auf der Bühne, wenn ich gerade nicht mitspiele, beim Zuhören, ich denke, Mensch, das, was da meine Kollegen spielen, ist so großartig, mir kommen fast die Tränen. Ja, und dann spiele ich selber wieder, und singe, und oft muß ich die Zähne zusammenbeißen, daß ich ja nicht sentimental werde, denn nicht ich sondern das Publikum soll weinen, aber ohne das eigene Gefühl geht trotzdem nix. Dem eiskalten Musiker, der ohne Emotion seine Musik perfekt vorträgt, für Geld, Ehre und Ruhm, glaube ich nicht. Der lügt, oder er kann es gar nicht. Natürlich gibt es auch umgekehrt den Fall, daß Musiker allerlei Emotionen vortäuschen, Verwunderung, Entschlossenheit, Begeisterung – bis zum Selbstbetrug. Im Profileben ist es oft so, daß man in der Garderobe, fünf Minuten vor dem Auftritt denkt, um Gottes Willen, ich muß jetzt raus, wie soll denn das gehen, ich bin gar nicht „drauf“, usw. Vielleicht flattert manchmal einem das Herz vor lauter Angst, daß alles in die Hose geht.

 

Wir sind Synonym für ,,erfolgreiches Zusammenleben der Kulturen" und manchem Ewiggestrigen ein Dorn im Auge. Gut so“, haben Sie mal gesagt und damit auch eine politische Botschaft formuliert. Hat sich das Klima mittlerweile geändert, oder spüren Sie immer noch Aversionen?

 

Mittlerweile sind wir eine anerkannte Band, wir haben bei Staatsakten gespielt, vor dem Bundeskanzler und für den Bundespräsidenten. Vielleich werden wir auch als eine Art Feigenblatt genützt, um vorzugeben, daß man liberal ist und eh nix gegen Gastarbeiter hat. Ich stehe diesem Phänomen aber positiv gegenüber, schließlich ist es gut zu sehen, daß man manche Türen nicht einschlagen muß, weil sie ja offen sind. Ewiggestrige wird es immer geben, die erreicht unsere Botschaft sowieso nicht, dafür ist uns eine große Mehrheit der Österreicher für unsere Musik dankbar und empfindet uns als eine österreichische Band „par exellence“ und als Teil der österreichischen Gesellschaft und Kultur.

 

Wie schlägt sich Ihre politische Haltung in Ihrer Musik nieder?

 

Wir sind vom Balkan und keine Nationalisten. Wir treten eben für das „erfolgreiche Zusammenleben der Kulturen“ - wobei ich nichts mehr verabscheue als Assimilation und Mainstream. Wir spielen Benefize für Alte, Obdachlose, Arbeitslose, Kinder. Für treten für politische Rechte der Gastarbeiter ein, nicht nur auf das Recht auf eine eigene Kultur, sondern auf eine wirkliche Gleichstellung am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft. Nur machen wir das nicht mit politischen Parolen, sondern eher mit dem „Wiener Schmäh“.

 

Wie kam es vor ziemlich genau 15 Jahren zur Gründung der Wiener Tschuschenkapelle?

 

In den Arbeitspausen haben wir musiziert, ein Türke, ein Österreicher und ich (Kroate). Mit großer Freude haben wir festgestellt, daß das geht, und daß es schön ist. Das am Anfang zufällige Publikum hat es mit Wohlwollen bestätigt. So durften wir bei mancher Geburtstagsparty spielen, wobei der Kreis der Leute, denen die Musik gefiel, immer größer wurde. Irgendwann beschlossen wir, eine richtige Band zu gründen, nur der Name fehlte uns. Da sagte ein Freund eher im Spaß, nennt euch doch Tschuschenband, weil Tschuschen seid´s eh´. So passierte es eben, nachher kamen Profimusiker dazu. Inzwischen haben wir sieben oder acht CD-s aufgenommen, haben gespielt auf der halben Welt, in Kanada und Brasilien, in Marokko und Italien, in Belgien und in Deutschland sowieso, und weiß Gott wo noch.

 


„Ich will mich nicht begrenzen auf die Musik, die in meinem Dorf gespielt wird. Es gibt ja viele Dörfer auf der Welt.“, haben Sie mal gesagt. Sie machen also gerne Ausflüge in andere musikalische Regionen. Was interessiert Sie daran besonders?

 

Wenn die Musik ein Gefühl ausdrückt, das zugleich mein Gefühl ist, ist mir diese Musik nicht fremd, es ist sofort meine Musik. Und dann frage ich mich: wodurch Großartiges unterscheidet sich denn das Nachbardorf von meinem eigenen? Und das ist ja das Faszinierende, es unterscheidet sich doch! Um diese Nuancen geht es, die man zuerst einmal wahrnehmen muß, um sie sich eigen zu machen. Aber alle Vorsicht ist geboten, man kann elephantenhaft, wie der Mensch an sich ist, sehr viel Porzellan zerschlagen. Eine akademische Überheblichkeit ist da fehl am Platz, ich kenne genug cross-over CD-s und Bands, die glauben, Hauptsache ist, man mischt diverse Stile. Das Resultat ist oft ein grauslicher Eintopf.

 


Sie haben ja auch eine Konzertreise nach Afrika unternommen. Wie hat das dortige Publikum auf Ihre Musik reagiert?

 

Wir haben gespielt z.B. in Harare im französischen Kulturklub. Wir Musiker waren Europäer - Franzosen, Schweizer und Dänen, die da im Publikum waren, haben uns wie Brüder behandelt und haben die von uns vorgetragene Tschuschenmusik beinahe als Musik aus ihrem Dorf empfunden. Dann wiederum haben wir vor Menschen gespielt, die nie im Leben eine Geige oder Akkordeon gesehen oder gehört haben und die sich bei jedem Ton wie Kinder gewundert und gefreut haben. Dafür haben aber auch wir Musik gehört, z.B. in Zimbabwe, in der sogenannten Tonga-Area, die wir nicht einordnen konnten, in tonal oder atonal, rhythmisch periodisch oder chaotisch, wo wir uns überhaupt nicht ausgekannt haben, Mensch, was ist das für ein Wahnsinn. Die erste Nacht haben wir diskutierend in einem wirklichen musikalisch-philosophischen Taumel verbracht. Dabei hat uns allen die Musik bis ins Mark gefallen, aber unsere europäischen, rationalen Schädel waren zu kurz gekommen. Es waren lehrreiche Tage und unvergessliche Erlebnisse und Begegnungen mit Menschen. Mir kommt jetzt noch vor, in diesen vier Wochen mehr erlebt zu haben, als vorher in einem Jahr. Ich hoffe, dass auch wir den Menschen etwas geben konnten, wenigstens ein Gefühl unserer Solidarität mit ihrer Not.

 


Was sind Ihre nächsten Projekte. Werden Sie 2006 Konzerte in Deutschland geben und wo kann man die Wiener Tschuschenkapelle live erleben?

 

Unser Topkonzert in Deutschland findet am 19.5.2005 in Berlin in der ufa-Fabrik. Danach fahren wir gleich nach Tirol und im Augenblick weiß ich gar nicht, wie es weiter geht. Schauen Sie auf unsere Homepage: www.tschuschenkapelle.at. Bei uns kommen Konzerte oft ziemlich kurzfristig herein. Wir haben auch keine große Konzertagentur, die uns promotet, sondern man ruft bei mir an und ich feilsche dann um die Gage und Fahrtkosten. Als nächstes wollen wir mit dem 78-jährigen Akkordeonaltmeister Jovica Petkovic eine CD der bosnischen Sevdalinka-Musik aufnehmen, inzwischen haben wir ein eigenes Label, es heißt, dreimal dürfen Sie raten: Tschuschenton, abgekürzt: TNT.

 

 

 

 


 

 

 

 

Slavko Ninić im Gespräch mit Gerald Grassl. Wien, 2001

 

Vor mehr als 12 Jahren haben 3 "Tschuschen" in Wien eher aus Spaß eine Musikgruppe gegründet. Inzwischen ist die "Wiener Tschuschenkapelle" fast eine "Institution" geworden und füllt - auch international - die Konzertsäle. Soeben ist ihre 5. CD "Live & davon..." auf den Markt gekommen. Im August ist die Gruppe auf einer Tournee durch Brasilien. Mit Slavko Ninic sprach Gerald Grassl.

 

 

 

Die Wiener Tschuschenkapelle gibt es seit etwa 12 Jahren. Ihr habt damals zu dritt begonnen...

 

Slavko Ninic: Es gibt uns schon länger. Aber vor 12 Jahren haben wir professionell zu musizieren begonnen. Vorher hießen wir übrigens "Erste Wiener Tschuschenkapelle". Das war so eine Gaudi-Partie, aus der sich dann ein wirklich professionell arbeitendendes Ensemble herausentwickelt hat.

 

Eine "Gaudi-Partie" seid ihr aber heute noch.

 

Slavko Ninic: Na hoffentlich haben wir die Gaudi nicht verlernt. Aber ich hoffe, dass wir inzwischen - zumindest was die Musikalität betrifft - dazugelernt haben.

 

Ihr heißt "Tschuschen-Kapelle" aufgrund eurer bunten ethnischen Zusammensetzung. Woher kommen die Leute der Gruppe?

 

Slavko Ninic: Aus den Tschuschenländern. Dazu zählt vor allem das ehemalige Jugoslawien, woher ich stamme. Hallo! Ich bin nun aus Kroatien. In der Band ist dann weiters ein Türke. Ein Österreicher sowieso. Der war von Anfang an dabei. Er ist ein "klassischer" Österreicher.

 

"Klassische" Österreicher gibt es aber kaum.

 

Slavko Ninic: Na ja. Nach einer gewissen Zeit die man hier ist, wird man dann auch "klassisch". An unserer neuen CD hat auch ein Pole mitgearbeitet. Es gibt weiters einen Bulgaren, oft waren Griechen bei uns Gäste. Außerdem gibt es als Gast auch einen Slowenen, der Dirigent an der Oper ist usw. Wir sind also eine bunte Gesellschaft.

 

Und bist du nun Kroate oder hast du die österreichische Staatsbürgerschaft?

 

Slavko Ninic: Ich bin gebürtiger Kroate, habe aber die österreichische Staatsbürgerschaft. Meine Eltern stammen ursprünglich aus Bosnien, sind aber bosnische Kroaten. Die mussten schon nach dem II. Weltkrieg emigrieren, weil Bosnien ausgehungert war. Es war so ähnlich wie heute in Bosnien. Diese Nationalitätenkonflikte im ehemaligen Jugoslawien sind ja nicht etwas Neues, sondern das hat es früher auch schon gegeben. Die sind damals nach Kroatien in das Gebiet von Slavonien emigriert, wenn dir das ein Begriff ist. Das ist dieser Ausläufer der pannonischen Tiefebene unterhalb von Ungarn. Ursprünglich ein reiches landwirtschaftliches Land, heute nicht mehr, denn die Landwirtschaft ist jetzt nicht mehr so gefragt wie früher. Aber damals war das ein reiches Land zum Leben und ein gutes Land um zu arbeiten.

 

Als ich dich 1974 kennengelernt habe, hast du in Wien Dolmetsch studiert und später als Dolmetscher für den ORF - mit eigener Sendung - gearbeitet. Machst du das heute auch noch?

 

Slavko Ninic: Das war damals vom Wiener "Zuwanderungsfonds", so hat das geheißen. Ich glaube das gibt es heute auch noch. Da habe ich eine Sendung gemacht, die hat glaube ich "für jugoslawische Gastarbeiter" geheißen. Da wurden in 5 Minuten verschiedene Probleme aus dem Berufs- und Alltagsleben abgehandelt. Da wurde informiert, was eine Abfertigung ist, oder wann kann ich in Pension gehen und solche Geschichten halt. Aber der Auftrag war, dass man nicht politisieren darf. Also reine, wertfreie Informationen durften nur gebracht werden. Ich habe mich mehr oder weniger daran gehalten.

 

Also bist du ein geprüfter Diplom-Dolmetscher?

 

Slavko Ninic: O ja, denn inzwischen habe ich diese ominöse Prüfung für den gerichtlich beeideten Dolmetscher geschafft.

 

Damit wärst du ja eigentlich ein hervorragender Vorzeige-Tschusch für die F! Die wollen ja, dass Ausländer hervorragend Deutsch können müssen, obwohl sie selbst keinen geraden Satz zusammenbringen. Ist das nun dein "Brotberuf" oder bist du inzwischen Berufsmusiker geworden?

 

Slavko Ninic: Was ist ein Berufsmusiker? Was ich studiert habe, übe ich nur mehr wenig aus. In Zagreb habe ich ja ursprünglich Soziologie studiert. Ich bin Diplom-Soziologe. In Wien machte ich die Dolmetscher-Ausbildung. Aber ich lebe in erster Linie von der Musik. Also bin ich nun wohl ein Berufsmusiker, oder?

 

Wann bzw. wie bist du überhaupt nach Wien gekommen?

 

Slavko Ninic: Ich habe 1972 in Kroatien die Matura gemacht. Danach hats mir gereicht. Und wollte kein Buch mehr anschauen, sondern in die Welt und arbeiten. Ein Freund hat schon in Wien gearbeitet und hat mir geschrieben, dass ich kommen soll. Es gibt auch Arbeit. Das hätte aber auch ein anderes Land, eine andere Stadt sein können. Das war ein bisschen Abenteurertum. Gehn wir halt in die Welt wie Tom Sawyer. Ich habe damals in einer kleinen Baufirma gearbeitet. Da waren vielleicht 50 Leute beschäftigt. Wir waren fast nur Türken, Kurden und Jugoslawen. Der Betrieb gehörte Ing. Lugner. Ich habe jetzt irgendwo gelesen, dass Herr Lugner bei einer Wahlveranstaltung versprochen hat, dass man die Türken nicht mehr "durchfüttern" werde. Es waren Türken und andere Tschuschen, die ihm sein Imperium aufgebaut haben.

 

Und warum bist du in Wien geblieben?

 

Slavko Ninic: Sicher nicht wegen dem Herrn Lugner. Eines Tages saß ich von der Arbeit am Bau total erschöpft und verdreckt bei der Straßenbahnhaltestelle. Die Leute, alles so nette Menschen, schön angezogen und frisiert, sind vorbei und schauten mich an, als ob ich deswegen der letzte Dreck wäre. Da hat es mir gereicht. Ich beschloss, wieder zu studieren.

 

Ich diskutiere immer wieder mit Leuten über den Begriff "Tschusch". Woher stammt dieses Schimpfwort eigentlich?

 

Slavko Ninic: Ich kenne natürlich die Definition von Peter Wehle aus dessen Wörterbuch, aber davon halte ich nichts. Da steht drin, dass sich Arbeiter beim Bau der Südbahn zugerufen haben sollen "cujez!" = "Hörst du?!" Und so habe sich das mit der Zeit für die Leute eingebürgert, die sich das zugerufen haben. Das glaube ich aber nicht. Ich glaube eher, dass das aus dem Russischen kommt: "cuzaj". Das heißt Fremder. Ich stelle die These auf, dass die Österreicher so genannt worden sind. Nämlich von den Slawen. Und hier wurde es dann von den Österreichern auf die anderen umgemünzt.

 

Ich kenne eine ähnliche Geschichte aus dem Hebräischen. Aber am meisten leuchtete mir ein, dass das Wort von den deutschen Sprachinseln wie Siebenbürgern stammen soll. Dass "Tschusch" eine Verballhornung für "Deutsch" wäre. Dass man die deutschen Minderheiten in slawischen Gebieten die Deutschen, also die Tschuschen nannte.

 

Slavko Ninic: In den deutschen Sprachinseln nannte man Deutsche oft "Nemec". Ein Nemec ist ein Stummer, also einer, der nicht sprechen kann oder den man nicht verstehen kann.

 

Wie auch immer - ich finde es witzig, dass eigentlich die Deutschsprachigen die "Tschuschen" sind. Dennoch meine ich, dass in den 70er-Jahren "Tschusch" eines der grauslichsten, fremdenfeindlichsten Schimpfwörter war. Nun habe ich den Eindruck, dass sich das gewandelt hat. Man hört es kaum noch. Und wenn, dann eher - wie auch bei euch - (selbst-) ironisch.

 

Slavko Ninic: Es war immer schon ein stilles Anliegen der Wiener Tschuschenkapelle, sich darüber nur lustig zu machen. Dadurch versuchten wir wenigstens in dem kleinen Bereich der Gehässigkeit die giftige Spitze zu nehmen. Ich hoffe, es stimmt, was du sagst. Ja, ich glaube es sogar, denn inzwischen kennen so viele Leute die Tschuschen-Kapelle und können über das Wort Tschusch nur mehr lachen.

 

Allerdings habe ich den Eindruck, dass sich eure Gruppe in der Selbstdarstellung ziemlich verändert hat. Früher war jeder Auftritt auch eine kleine politische Manifestation gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Nicht mit dem Holzhammer, sondern mit der feinen Klinge. Aber bei eurem letzten Auftritt hatte ich diesen Eindruck nicht mehr. Da ging es "nur" mehr um die Musik und die CD. Ihr seid zwar nicht in der folkloristischen Ecke gelandet, aber es geht hauptsächlich um den Spaß.

 

Slavko Ninic: Das tut mir natürlich leid, wenn wir keinen politischen Auftrag mehr erfüllen...

 

Vielleicht sehe ich das auch nur falsch und du beweist mir etwas anderes....

 

Slavko Ninic: Allein durch die Tatsache, dass wir diese Musik spielen, dass wir uns so nennen, dass wir das Multikulturelle (das ist ja inzwischen schon ein Schimpfwort geworden) weiterhin pflegen, dass wir mit diesen Programmen sehr viele Menschen erreichen, glaube ich, dass das für sich spricht. Da soll man nicht künstlich eine politische Agitation draufpflanzen. Es ist klar, wo wir politisch stehen und welche Botschaften wir vermitteln. Es ist auch klar, welche politischen Parteien das nicht tun bzw. das Gegenteil tun. Das braucht man nicht so plakativ vor sich hertragen. Es ist wichtiger, wenn unsere Botschaft über Musik ins Ohr geht, und die Leute sagen, da gibt es die Wiener Tschuschen-Kapelle und die machen eine leiwande Musik.

 

Ein Problem für Künstler ist, dass viele von ihnen pausenlos kostenlos für diverse Benefizaktionen durchs Land touren könnten. Von ihnen nimmt man automatisch an, dass sie zu (fast) jeder Zeit für "politisch korrekte" Anliegen gratis aufspielen. Aber (Berufs-) Künstler müssen schließlich auch von etwas leben. Außerdem haben Gruppen wie die eure auch hohe laufende Kosten, die bezahlt werden müssen.

 

Slavko Ninic: Es ist vor allem in der linken Szene eine Tradition, Musiker anzuheuern, damit sie Benefiz spielen. Ich habe nichts dagegen. Ich mach das auch gerne und wir spielen auch weiterhin Benefiz-Programme wenn es um Ausländer, Kinder sowieso, wenn es um gesellschaftlich relevante Themen geht. Aber es ist das Problem, wenn man Berufsmusiker ist und versucht davon zu leben, muss man auch Geld verdienen. Vor allem sind das Equipment und das ganze Rundherum relativ teuer. Aber das verstehen die Leute nicht immer. Wir haben eine Anlage, die kostet sehr viel Geld. Dann haben wir einen Bus, das darf auch nicht das letzte Auto sein, sonst kommen wir nie oder total kaputt an unserem Ziel an. Es muss alles technisch in Ordnung sein und funktionieren. Und wenn die Veranstalter gewohnt sind, dass die Musiker immer umsonst kommen, dann bemühen sie sich auch weniger um Sponsoren und Einnahmequellen. In der Szene gibt es den Spruch "gute Veranstalter bezahlen Gagen, schlechte Veranstalter machen Benefize".

 

Aber auch das Publikum ist bei Benefiz-Veranstaltungen meistens anders. Weil es nichts kostet, meinen die Leute oft, dass es auch nichts oder wenig "wert" ist. Wenn die Leute normalen Eintritt bezahlen müssen, wollen sie auch etwas für ihr Geld haben. Da sind meistens die Aufmerksamkeit und Konzentration wesentlich höher.

 

Slavko Ninic: Ich muss die Veranstalter aber auch in Schutz nehmen. Ich habe den Eindruck, dass es Veranstalter mit gesellschaftlich-politischen Anliegen in Österreich derzeit nicht leicht haben. Denen ist es nie gut gegangen. Aber derzeit geht es an ihre Substanz. Die kalkulieren von Haus aus schon auf einer Selbstausbeutung. Wenn man denen dann 10% an Förderungen kürzt, stürzt gleich alles zusammen, weil da ist nichts mehr, wo man sparen könnte. Das betrifft vor allem viele kleine lokale Initiativen, Clubs und Vereine. Es gibt aber in der Branche auch schlechte Gewohnheiten. Dazu möchte ich gerne eine Geschichte erzählen, die mir am Herzen liegt: Wir sind einmal gebeten worden, ein Benefiz für einen engagierten Menschen zu spielen, der in irgendwelche Troubles gekommen ist. Der Erlös soll dazu dienen, seine Rechtsanwaltskosten zu bezahlen. Und das ist bezeichnend. Viele Musiker müssen auf die Bühne, um einen Anwalt zu bezahlen. Nicht, dass man verlangt oder annimmt, dass der Rechtsanwalt einfach auf seine Gage für einen engagierten Kumpel verzichtet. Und das sagt halt auch einiges über die "Wertigkeit" von Musik und Musikern aus.