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musicaustria.at, 8. April 2014

Die Wiener Tschuschenkapelle – seit 25 Jahren Teil der Österreichischen Musikgeschichte: Slavko Ninić im mica-Interview

Spricht man über die Wiener Tschuschenkapelle (ursprünglich Erste Wiener Tschuschenkapelle), so spricht man über eine Formation, die wie nur wenige andere die Musikgeschichte Österreichs des letzten Vierteljahrhunderts (2014 feiert die Band ihr 25-jähriges Bestehen) mitgeschrieben hat. Man spricht von einer Band, die sich das friedliche Miteinander der verschiedenen Kulturen auf die Fahne geheftet hat und darüber hinaus in der Rolle eines musikalischen Botschafters, die heimische Musikszene auch europaweit in allen Ehren vertritt und aufzeigt, von welcher Lebendigkeit und welchen Reichtum diese ist. Slavko Ninić, der Gründer und Kopf der Band, im Interview mit Michael Ternai.

25 Jahre sind eine lange Zeit. Kannst du dich eigentlich noch genau an die Anfangstage der Tschuschenkapelle erinnern?

Slavko Ninić: Ich habe als Amateur im privaten Bereich mit Freunden eigentlich immer schon musiziert, zum Beispiel auf Feiern usw. Und wir haben eigentlich immer auch recht viel Beifall bekommen, fast schon so viel wie eine Profiband (lacht). Und diese wirklich positive Resonanz war dann schon die große Verlockung dahingehend, das Ganze auch hauptberuflich zu betreiben, was wir auch versucht haben, zu verwirklichen. Wir haben uns ein Programm zusammengeschustert und einige Auftritte gespielt, von denen einige wirklich sehr erfolgreich waren. Irgendwann ist dann auch der Name Tschuschenkapelle gefallen, womit dann quasi alles seinen Anfang genommen hat.

Wir haben jetzt nicht vorgehabt, wirklich berühmt zu werden, wir wollten nur schauen, ob wir davon leben können. In der Überzeugung, dass die Musik, die wir spielen, den meisten Menschen, die sie hören, gefällt, haben wir uns dann doch bestärkt darin gefühlt, die Band professionell zu betreiben. Wie man jetzt sieht, ist die Rechnung aufgegangen. Inzwischen haben uns ja wirklich schon sehr viele Menschen gehört (lacht).

Habt ihr euch damals eigentlich irgendwie vorstellen können, dass ihr irgendwann einmal eine so erfolgreiche Karriere haben werdet?

Slavko Ninić: Nein, überhaupt nicht. Es war auch für uns schon eine Überraschung, dass unsere Musik bei den Leuten so dermaßen gut ankommt. Ich habe schon vermutet, dass wir uns ganz gut schlagen werden, aber dass das Echo so positiv sein würde, nein, damit haben wir nicht gerechnet. Wir haben ja dann irgendwann einmal auch mit den Wiener Philharmonikern in der Staatsoper gespielt, das ist etwas, wovon man eigentlich nur träumen kann. Mittlerweile haben wir in den besten Sälen in Österreich gespielt und sind fast überall in der Welt herumgekommen.

Ihr zählt ja zu den Pionieren der heimischen Weltmusik. Inwieweit war euch damals bewusst, dass ihr da etwas ganz Eigenes macht?

Slavko Ninić: Also ehrlich gesagt, glaube ich nicht einmal, dass das, was wir machen, so eigen ist. Wir haben immer hauptsächlich die schönen alten Volkslieder gespielt, die wir eben ein wenig umarrangiert und mit unseren Fähigkeiten und Möglichkeiten bzw. unserem Instrumentarium wiedergegeben haben. Wir werden von manchen sogar als Puristen angesehen, weil wir im Grunde genommen so wenig wie möglich von dem Original abgehen wollen. Aber natürlich ist es so, dass man ein jedes Mal ein wenig abweicht. Auch wenn man versucht, ein Stück eins zu eins nachzuspielen, es verändert sich, es kommt eine andere Note, ein anderer Akzent hinein und jeder Musiker spielt die Sachen sowieso anders. Manches verändert man dann auch bewusst, weil man glaubt, dass man das Stück dadurch noch besser hinkriegt und und und... Irgendwann beginnt man dann, auf diese Art zu komponieren und eigene Sachen zu schreiben und vielleicht entsteht daraus ja letztlich ein eigener Stil.

Ich glaube, ein weiterer Grund, warum es für uns so gut gelaufen ist, war, dass wir uns nie kommerzialisiert haben. Wir haben schon sehr aufgepasst, dass wir nicht irgendeinem Hype aufsitzen. Wenn du unsere ersten CDs hernimmst, die unterscheiden sich jetzt nicht wesentlich von unseren letzten. Sie klingen jetzt vielleicht ein wenig professioneller, weil wir über die Jahre technisch doch ein bisserl dazugelernt haben. (lacht)

Deinem Eindruck nach, wie hat sich Wien, als du hierhergekommen bist, musikalisch dargestellt. Hast du dich dafür interessiert, was in dieser Stadt stattfindet?

Slavko Ninić: Ich war ja immer auch ein sehr klassisch interessierter Mensch und da war ich in Wien schon genau richtig. Sonst? Dieses ganze Worldmusic-Ding war zu diesem Zeitpunkt gerade erst im Begriff zu entstehen. Im Radio hat man damals kaum Musik aus Afrika oder aus den Balkanländern gehört. Nicht einmal solche aus Ungarn. Was man gehört hat, waren englische Schlager und ein wenig irisch-schottisch geprägter Folk. Aber sonst kaum etwas anderes, vielleicht noch ein wenig Flamenco und italienische Schnulzen. Im Grunde genommen wurde ausschließlich der Mainstream gespielt.

Durch das Aufkommen des Begriffs ‚Worldmusic‘ aber ist dann doch etwas in Bewegung geraten, die Musik hat langsam begonnen, sich auszubreiten. Es war plötzlich das Interesse der Leute für völlig neue Klänge da, für die Musik aus Afrika, Brasilien, Cuba. Man wollte wissen, was die Asiaten machen und was es mit dem Obertongesang der Mongolen auf sich hat usw. Kurz: Die vielen Geschichten, die in der Welt passiert sind, waren auf einmal auch hier sehr präsent. Und man kann schon sagen, dass auch wir ein Teil davon waren. Ich kann mich sehr gut an ein Interview von Alfred Hosp mit mir erinnern, in dem er mich gefragt hat, ob ich denn Worldmusic spiele. Ich konnte ihm keine Antwort geben, weil ich ganz einfach nicht gewusst habe, was er mit Worldmusic überhaupt meint. Wie gesagt, dieser Begriff war gerade erst im Entstehen.

Bevor es richtig losgegangen ist, scheint alles irgendwie gettoisiert gewesen zu sein. Die verschiedenen Ethnien, die hier in Wien gelebt haben, haben ihre Musik vorwiegend in ihren Kreisen, z.B. in den eigenen Clubs, gepflegt. Und plötzlich war es möglich, Konzerte von Musikern aus der ganzen Welt, aus Japan, Russland, der Türkei und anderswoher zu besuchen. Das hat die ganze Sache sehr spannend gemacht.

Überrascht es dich rückblickend, dass sich gerade Wien zu einem musikalischen Schmelztiegel entwickelt hat?

Slavko Ninić: Wien hat diesbezüglich ja eine Tradition. Die Stadt war immer schon ein Schmelztiegel. Hier ist es immer schon zu einer Verschmelzung der Kulturen gekommen und damit auch zum Aufeinandertreffen der verschiedenen musikalischen Einflüsse. Wien war die Hauptstadt der Habsburger-Monarchie und in dieser waren Kroaten, Ungarn, Tschechen und andere Völker immer zugegen. Sie haben alle ihre musikalischen Traditionen mitgebracht. So gesehen ist diese musikalische Vielfalt für Wien nicht so besonders neu, sie ist nur nun wieder einmal aufgeflammt.

Natürlich auch aufgrund des Zuzugs von Menschen aus aller Herrgotts-Länder. Ich war irgendwann einmal in der Lugner City und wie ich diese betreten habe, habe ich von weitem auch schon Musik gehört. Zuerst habe ich geglaubt, es handle sich um türkische Musik, doch es hat sich herausgestellt, dass dort eine Gruppe aus Indien gespielt hat. Es hat dort eine indische Veranstaltung gegeben und es waren viele hundert Inder dort, die miteinander gefeiert haben. So etwas war früher nicht möglich, weil vielleicht auch die Leute nicht da waren.

Ein weiterer Grund, warum diese Entwicklung eingesetzt hat, ist auch das politische Klima, das sich zum weltoffeneren hin gewandelt hat. Die Leute sind neugierig darauf geworden, was die anderen machen und wollten wissen, was es z. B. neben der alpenländischen Musik sonst noch gibt.

Wenn du auf eure Karriere blickst, hat es Momente gegeben, in denen du schon einmal auch den Hut draufhauen wolltest?

Slavko Ninić: Solche Momente gibt es immer wieder. Die Momente, in denen man sich fragt, was man eigentlich noch erreichen will. Wir haben in der Oper und im Musikverein gespielt, standen in Österreich fast schon in jedem Ort auf der Bühne und sind durch die Welt getourt. Mehr geht eigentlich nicht. Darüber hinaus wird man ja auch älter.

Nur ist es so, dass man dann immer wieder Sachen entdeckt, die man noch nicht gemacht hat. Neue Lieder etwa, die man noch nicht gespielt hat. Und man merkt, dass man immer noch gut ankommt, die Säle voll sind und die Leute deine Musik immer noch gerne hören und kaufen. Also, warum aufhören?

Du hast gerade die noch nicht entdeckten Lieder erwähnt. Gibt es auf dem Balkan, von woher die meisten eurer Lieder kommen, tatsächlich so vieles? Wann werdet ihr, glaubst du, das gesamte Liedgut ausgeschöpft haben?

Slavko Ninić: Es gibt tatsächlich sehr viele. Ich glaube, so viele, dass wir nochmal so viele CDs aufnehmen könnten, wie wir bisher veröffentlicht haben. Aber die Frage ist schon berechtigt. Daher verrate ich dir auch unser nächstes Projekt. Wir haben vor, auf unserer nächsten CD Musik ausschließlich aus Österreich spielen. Was für uns schon eine Herausforderung darstellt, weil wir diese stilistisch möglichst breit definieren wollen. Von der Musik der Monarchie, über die alpenländische, bis hin zum Wienerlied, zur Klassik und zur Musik der Minderheiten, all das soll in irgendeiner Form dabei sein. Mal sehen, ob wir das hinkriegen. Weißt du, ich glaube, wenn man schon so lange in Österreich lebt wie ich, dann ist man das diesem Land irgendwie schon auch schuldig.

Wie sieht es eigentlich in den Balkanländern aus. Welche Stellung hat die Tschuschenkapelle dort?

Slavko Ninić: Dort sind wir wenig bis überhaupt nicht bekannt. Wir haben schon die eine Tour dort gespielt, aber eine einzige Tour bringt nicht sehr viel. Ich muss auch dazu sagen, dass ich mich sehr wenig darum gekümmert habe, weil ich eben hier in Österreich lebe und nicht dort. Das Hemd ist in diesem Fall näher als der Rock. Ich wüsste auch gar nicht, ob es möglich wäre, die Leute dort kennen diese Lieder ja alle. Natürlich nicht in der Art, wie wir sie spielen. Ich glaube, für die Leute dort wären wir schon irgendwie Exoten. Wenn wir es in diesen Ländern werbungsmäßig vielleicht wirklich professionell angehen würden, ja, dann könnte es schon klappen, aber ehrlich gesagt, ich bin inzwischen für so etwas zu müde. Ich habe einfach keine Zeit, keine Lust und keine Motivation dafür. Also, warum sollte ich das tun? Da gehe ich lieber gemütlich auf ein Bier oder auf einen Kaffee.

Inwieweit verstehst du deine Band als eine Art Wiener Musikbotschafter? Und wie fühlst du dich in dieser Rolle?

Slavko Ninić: Ich fühle mich wohl in dieser Rolle. Dazu muss ich auch ein wenig ausholen. Wir waren gerade in Marokko, als die EU wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ Sanktionen gegen Österreich gesetzt hat. Du kannst dich sicher daran erinnern. Damals hat mich ein deutscher Reporter auf eine Art befragt, als würden in Österreich nur Faschisten herumlaufen und da musste ich ihn schon ein bisserl zurechtweisen. Ich habe ihm gesagt, dass das ein Blödsinn ist und dass das nicht stimmt. Das war schon ein wenig kurios, dass gerade wir als Tschuschenkapelle zur damaligen Zeit im Ausland für Österreich eine Lanze gebrochen haben.

Aber es ist generell so, dass Leute anderer Nationalitäten, wie etwa Kroaten und Serben immer irgendwie die Rolle von Botschaftern in ihren Ländern übernehmen und versuchen, Brücken zwischen den Menschen und Kulturen zu bauen. Das ist eine positive Sache, bei der ich auch gerne mitmache.

Die neue CD von euch ist ja eine Live-CD. Die wievielte CD ist das überhaupt? Ihr habt ja inzwischen unzählige veröffentlicht.

Slavko Ninić: Ich glaube die 12. oder 13. Sie ist insofern besonders, weil es sich bei fast allen Lieder um neue und bisher nicht veröffentlichte handelt. Bis auf zwei, war keine Nummer auf irgendeiner anderen CD vertreten. Unser Vertriebschef war auf jeden Fall auch verblüfft. Er hat mich gleich angerufen. Er meinte, dass das eigentlich unüblich sei und man auf Live-CDs normalerweise nur bereits bekannte Stücke zu hören bekommt.

Wie sieht es bei dir mit dem Feuer bei Konzerten aus. Lodert es noch genauso wie vor 25 Jahren?

Slavko Ninić: Oh ja, voll! Wir haben erst vor ein paar Tagen unser CD-Präsentations-Konzert gespielt. Wir sind von Acht bis halb Eins auf der Bühne gestanden und die Leute hatten danach immer noch nicht genug. Wir haben insgesamt mit 5 oder 6 Gästen drei große Sets mit Liedern aus Albanien, Griechenland, Bosnien, Österreich der Türkei usw. zum Besten gegeben. Es war wunderschön.

Zum Abschluss: Hat es in den letzten 25 Jahren der Tschuschenkapelle irgendwelche Ereignisse gegeben, auf die du besonders stolz bist. Was waren die Highlights?

Slavko Ninić: Stolz bin ich natürlich auf diese Staatsoper-Geschichte. Wir haben damals in der Millenniums-Nacht eben in dieser gespielt. Es war schon ein besonderes Gefühl an so einem Tag genau an so einem Ort zu spielen. Und das mit den Philharmonikern. Das Schönste ist aber, dass unsere Musik den Leuten wirklich taugt. Das sieht man an ihren Gesichtern, an deren schönem und wohlwollendem Lächeln. Es geht ihnen gut, wenn sie unsere Musik hören und sie gehen nach einem Konzert immer ein bisserl fröhlicher aus dem Saal. Wir haben in den Jahren eine Art Gemeinschaft zwischen der Bühne und dem Publikum hergestellt und auch eine Botschaft einer schönen Art weitergeben können. Das macht einen am glücklichsten.